Digitale Welt:Nur noch ein Rädchen?

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Das Medienkunstfestival Transmediale fragt zu seinem 30. Jubiläum, wie es denn um das Verhältnis zwischen Mensch und Computer bestellt ist.

Von Jens-Christian Rabe

Natürlich schwebten ihre bösen Geister über der diesjährigen Transmediale-Konferenz im Berliner Haus der Kulturen der Welt, so wie sie dieser Tage über allem schweben, und ganz besonders über all jenen, die über die Gegenwart und die Zukunft des Menschen nachdenken. Nirgendwo allerdings müssen Donald Trump und die erschreckenden politischen Erfolge des Populismus so sehr auch als intellektuelle Beleidigung erfahren werden wie auf diesem internationalen Klassentreffen der avancierten linken Politik- und Medientheorie im deutschen Hauptquartier institutionalisierter linker Gegenkultur direkt neben dem Kanzleramt.

Deren Welt steht mit ihrer Liebe zu Gleichberechtigung, Internationalität und Vielfalt aller Art nicht nur genau am anderen ideologischen Ende (die Piktogramme an den Herren-Toiletten im Haus der Kulturen der Welt tragen Turban). Ihre Werte und Überzeugungen wurden bei der Ursachenforschung für Trumps Erfolg auch zum Symbol für die riskante Entfremdung von Eliten und Bevölkerung. Dazu kommt, dass in ihren Diagnosen die wirklich dunklen Mächte ja gar nicht mehr an einem Schreibtisch im Weißen Haus ihr Unwesen treiben dürfen, sondern in der unsichtbaren digitalen Infrastruktur dieser Welt.

Das aktuelle Motto klang deshalb auch fast wie purer Trotz: "Ever elusive". Die ewige Flüchtigkeit unserer Existenz in der vernetzten Gegenwart sollte also im Mittelpunkt stehen, trotz der schmerzhaften Fassbarkeit des Populismus - und es war doch genau richtig so. Vom Wahnsinn der Gegenwart sollte man sich nicht das Nachdenken über den womöglich noch gewaltigeren Irrsinn der Zukunft verleiden lassen.

Was sei eigentlich aus der Vorstellung geworden, fragte der künstlerische Leiter der Transmediale, Christopher Gansing, dass ein Medium eine abgeschlossene Einheit zur menschlichen Kommunikation sei, während unsere Umgebungen immer weiter digitalisiert und vernetzt und unsere Interaktionen durch Algorithmen erweitert und optimiert würden? Man muss sie wohl verabschieden und mit ihr auch die Vorstellung, der Mensch stehe noch im Zentrum der ständigen Vermittlung, bei der die Technologie immer autonomer agiert. Er sei vielmehr, so Gansing, oft nur noch ein Rädchen in einem kaum noch durchschaubaren komplizierten Getriebe oder eher "eine Dateneinheit im Prozess".

Die Frage, wer überhaupt agiert, ist schwerer zu beantworten als je zuvor

Das klang düster, aber es inspirierte seine Gäste zu mitreißenden Vorträgen gegen die ohnmächtige Kapitulation. Brett Scott etwa, ehemaliger britischer Börsenhändler und mittlerweile Aktivist gegen die Finanzindustrie, hielt dem oft so oberflächlich-ahnungslosen wie selbstgerechten Alarmismus vieler Kritiker ein temperamentvolles Plädoyer entgegen, bloß nicht vor der technischen Komplexität zu kapitulieren. Hinter jedem automatischen Prozess stünden Interessen, die immer noch Menschen festlegten. Und da sei dann nichts mehr besonders schwer zu verstehen, meist könne man die Logik, nach denen die Maschinen funktionierten, schlicht an ihren Ergebnissen ablesen. Wenn man nur wolle. Amazon und seine algorithmisch erzeugten Empfehlungen etwa funktionierten schlicht exakt so, als gebe man einer betrunkenen Person immer mehr Alkohol.

Auch der in Frankfurt lehrende Medienwissenschaftler Florian Sprenger wollte sich nicht der scheinbar unvermeidlichen Entmachtung des Menschen ergeben. Er wies auf all die "Mikroentscheidungen" im Zentrum der digitalen Kultur hin, die so schnell und zahlreich ablaufen, dass sie unbemerkt vom Menschen nur noch von Protokollen und Algorithmen abgewickelt werden können. Es seien diese Mikroentscheidungen, die blitzschnell von Computern für Computer getroffen werden, die heute den Ausschlag gäben darüber, wer mit wem verbunden werde, wer welche Informationen bekomme und wer sich im Netz wo aufhalten dürfe.

Ähnlich wie Scott ist aber auch Sprenger der Ansicht, dass man die politische Dimension dieser Entscheidungen nicht aus den Augen verlieren dürfe. Technologische Standards, Protokolle und Algorithmen würden immer noch von Menschen entwickelt. Ob sie eingeführt und wie sie benutzt werden, sei Gegenstand menschlicher Verhandlungen und damit beeinflussbar. Die Frage, wer agiere, sei heute oft schwieriger zu beantworten als je zuvor. Unbeantwortbar sei sie jedoch nicht.

Sollte Google indifferent und zufällig Ergebnisse auflisten, statt nach Beliebtheit zu sortieren?

Zu diesem nüchternen Optimismus passte auch der brillante Vortrag der an der amerikanischen Elite-Uni Brown lehrenden kanadischen Kulturwissenschaftlerin Wendy Chun. Im Grunde beherrsche nicht die technologische Infrastruktur die menschlichen Gewohnheiten. Es sei genau andersherum: Menschliche Gewohnheiten bestimmten die technologische Infrastruktur. Die "Neuen Medien" seien deshalb alles andere als neu, wir hätten sie nur nicht richtig verstanden. Kern der Krise und Ursache von sozialer Entfremdung und Ausgrenzung sei, dass das Prinzip der Homophilie die Technik präge. Das Prinzip also, dass Menschen vor allem Menschen mögen, die ihnen ähneln und sie zurücklieben. "Warum starten wir nicht eine Re-Programmierung des Systems nach dem Prinzip der Indifferenz? Warum lieben wir nicht bedingungslos? Und warum bauen wir nicht Suchmaschinen, die die unterschiedlichsten und nicht die populärsten Ergebnisse oben auflisten?" Da hatte Chun auch die niederländische Software-Künstlerin Marloes de Valk auf ihrer Seite, die betonte, dass die Perspektive eines Computers, selbst wenn dieser irrsinnig clever erscheine, eben doch nur die Perspektive derer sei, die ihn sich ausgedacht haben. Zu glauben, sie seien nicht mehr zu steuern, sei nur eine Ausrede für Passivität. Man müsse vielmehr neue Maschinen bauen, "die in unserem Sinn funktionieren!"

Viel stärker als in den vergangenen Jahren schien diesmal überhaupt der so unerschrockene wie tatendurstige Galgenhumor der Kunst und der Künstler einen Ausweg zu weisen. Als ob sie nach Jahren, in denen der Schock über die dunklen Seiten der Digitalisierung die Gedanken schwer machte, endlich das Gefühl haben, genug von der Technologie zu verstehen, um es mit ihr aufnehmen zu können.

In der begleitenden Medienkunst-Ausstellung erschien einem in diesem Sinne Constant Dullaarts "Dull Dream" das zentrale Werk. Der niederländische Konzeptkünstler hat dafür das Prinzip von Googles Programm "Deep Dream", das mittels künstlicher Intelligenz Muster auch dort erkennt, wo gar keine sind, und so eine Art Computerkunst schafft, einfach umgekehrt. Sein Programm "Dull Dream" verwischt alle Muster, und aus einem alten Foto von Donald Trump wird eine verschwommene bunte Halluzination. Es ist bloß eine Fingerübung, und doch auch eine kleine Machtdemonstration, ein digitaler Fehdehandschuh.

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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