Digitale Medien:In fremden Denksystemen

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Die Internetseite "extremedialog.org" sagt Rassismus und Gewalt den Kampf an. Sie kann von Lehrern für den Unterricht genutzt werden und gibt Jugendlichen Informationen über politischen Fanatismus.

Von Lukas Latz

Spätestens infolge des Massakers von Anders Breivik in Oslo und Utøya 2011 wurde erkannt, dass das Internet ein entscheidender Katalysator für politische Radikalisierung bei Heranwachsenden ist. Der sogenannte IS, aber auch deutsche Neonazis betreiben eine sehr geschickte Kommunikation im Internet. Die EU-Kommission reagierte darauf schon vor einigen Jahren: Sie schrieb Fördermittel für Projekte aus, die im Netz Gewaltverherrlichung und Rassismus den Kampf ansagen. Aus dieser Förderpolitik ist jetzt die Plattform extremedialogue.org entstanden.

Darauf sind kurze Dokumentarfilme zu finden, über Menschen aus verschiedenen Ländern, die in rassistischen und fundamentalistischen Gruppen waren und ausgestiegen sind. Diese Aussteiger erzählen von ihrem einstigen Verhältnis zur Gewalt und wie sie sich daraus befreien konnten. Da ist etwa ein Film mit einem ehemaligen amerikanischen Skinhead und White Supremacist. Er beschreibt, wie er am Tag von 9/11 in Jubelstimmung war, die Dschihadisten als seine Verbündeten begriff und am liebsten einen großen Bürgerkrieg vom Zaun gebrochen hätte. Ein fesselnder Einblick in ein geschlossenes Denksystem. Ein syrischer Ingenieur aus Raqqa, der in seiner Heimatstadt gefoltert wurde und nun in Deutschland lebt, schildert seine Hoffnungen und das, was er von Deutschland erwartet. Er wird befragt als Opfer, der von den Konsequenzen eskalierter Gewalt betroffen und als Flüchtling immer noch besonders bedroht ist.

Im Rahmen des Festivals für "Digitale Kultur" in der Stadtbibliothek im Gasteig in München, stellte der Psychoanalytiker Harald Weilnböck die Ergebnisse des Projekts vor. Er betont zunächst seine Skepsis gegenüber der Idee und Förderpolitik der Bundesregierung und der EU. Allein über das Internet könne keine Seele zurückgewonnen werden. Durch Studien wisse man mittlerweile, dass das Internet nur ein Teil des Problems bei der Radikalisierung von Jugendlichen ist. Daher könne es auch nur ein Teil der Lösung sein. In den letzten Jahren sei die Wichtigkeit der Offline-Arbeit stark unterschätzt worden. Die Idee, Gegen-Narrative gegen die effektive Propagandamaschinerie des IS oder von Neonazis aufzubauen, funktioniere so gut wie gar nicht, sagt Weilnböck.

In der Aufklärungs- und Präventionsarbeit könnten die Möglichkeiten der Kommunikation, die das Internet bietet, allerdings sinnvoll genutzt werden. Neben den Dokumentarfilmen bietet die Plattform ausführliche Lehrerhandreichungen und eine mit dem Präsentationsprogramm "Prezi" erstellte Computerpräsentation. Mit dem Material lassen sich komplette Unterrichtsstunden planen. Zugleich ist es so flexibel, dass man es in eigenen Unterrichtsdramaturgien verwenden kann.

Die Webseite ist schön gestaltet und leicht zu bedienen. Auch Heranwachsende können sich dort eigenständig durchklicken und auf dieser Grundlage gemeinsam mit Freunden über die Gefahren von politischem Fanatismus nachdenken. Zurzeit sind die meisten Materialen nur in Englisch zu haben. Bis Ende des Jahres soll aber alles ins Deutsche übersetzt sein.

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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