Dienstbare Geister:Bauzäune in Kamerun

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Zwei Fluchtgeschichten in die ehemalige Kolonie Kamerun, im Abstand von Hundert Jahren. Erzählt mit absoluter Ruhe von Paul Plamper. Der Kampf gegen das Schicksal. Oder gegen die Widrigkeiten des Lebens.

Von Tobias Lehmkuhl

Zwei Geschichten verschränkt Paul Plamper in seinem neuen Hörspiel "Dienstbare Geister" miteinander: Die einer jungen Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts von Deutschland nach Kamerun auswandert, um in der dortigen Kolonie ein Auskommen zu finden, und die eines jungen Mannes, der gut hundert Jahre später, im Jahr 2015 von Kamerun nach Deutschland geht, sicher auch, um ein Auskommen zu finden. Seine Gründe aber sind zugleich komplexer als die der jungen Frau.

Der Name des Mannes lautet Martin, französisch ausgesprochen, denn mit dem Versailler Vertrag fiel Kamerun unter französisch-britisches Mandat, und auch heute noch sind Französisch und Englisch in Kamerun Amtssprachen. Martin aber hat in Yaoundé auch Deutsch gelernt, ein Studium als Statiker abgeschlossen und sich trotzdem auf den gefährlichen Weg durch die Sahara und über das Mittelmeer gemacht, um in den Norden zu gelangen. Seine Geschichte, die eine recht alltägliche Geschichte zu sein scheint, basiert, wie es eingangs heißt, auf Interviews mit Asylbewerbern in Berlin, wie auch die Geschichte der jungen, namenlosen Frau auf Berichten und Dokumenten der Kolonialzeit beruht.

Die junge Frau hören wir eingangs, wie sie in einem stillen Raum einen Brief an die deutsche Kolonialverwaltung schreibt, in dem sie um Auskunft und eine Anstellung als Wirtschafterin in einer der Kolonien bittet, einer möglichst sicheren, um ihrem Vater, einem pensionierten "Schutzmann" und ihren beiden Schwestern nicht mehr zur Last zu fallen.

Offenbar hat ihr Schreiben Erfolg, bald darauf tritt sie nach einer komfortablen Seereise an die Ufer Kameruns und kichert, als die schwarze Schutztruppe "mit mehr Grazie als Schneid" vorüberdefiliert, um die neuen Offiziere zu empfangen.

Das Kichern wird ihr, wenn man so sagen kann, bald vergehen. Martins Leben in Deutschland scheint dagegen den umgekehrten Weg zu nehmen: Nach anfänglichen Schwierigkeiten, langen Wartezeiten und amourösen Widrigkeiten erhält er eine feste Anstellung in einer großen Firma, die Bauzäune produziert, ja er wird der "gute Geist" dieser Firma, ohne ihn, sagt seine Chefin Silke, laufe nichts.

Auf der anderen Seite der Erdhalbkugel bezeichnet derweil die junge Deutsche jenes Heer an schwarzen Dienstboten und Hausangestellten, das sie zu beaufsichtigen hat, in einem milden Moment als jene titelgebenden "dienstbaren" Geister.

So dienstbar, wie es sich eine deutsche Schutzmannstochter wünscht, sind sie indes nicht, im Gegenteil, mit der Zeit wachsen die Widerstände gegen die Besatzer, die sich selbst als Boten sehen, die den Wilden Kultur bringen. Statt ihnen täglich auf Knien dafür zu danken, dass sie den Einheimischen ihr Land weggenommen haben, beginnen diese, das Vieh zu töten und ihren Herren Gift in den Tee mischen.

Mit großer Ruhe wird vom Kampf mit Widrigkeiten erzählt

Martins Gründe für seine Flucht nach Deutschland sind komplexer, und die Gefahren, denen er ausgesetzt ist, weitaus subtiler. Denn als der Firma, für die er arbeitet, ein CO₂-Zertifkat fehlt, kommt man auf die Idee, für dieses Zertifikat in Kamerun ein paar Bauzäune aufzustellen, sie bewachsen zu lassen und damit das Fortschreiten der Wüste einzudämmen. Und da man doch, oh Zufall, einen Mann aus Kamerun hat, überträgt man ihm diese Aufgabe, er wird sich doch freuen, schließlich kann er dann die Heimat mal wieder besuchen. Dass es allerdings gute Gründe gab, aus denen heraus Martin Kamerun verlassen hat, wird dabei ignoriert. Er muss gehen, sozusagen zu seinem eigenen Besten.

Erzählt wird der Kampf mit dem Schicksal und den Widrigkeiten, oder wie immer man es nennen will, mit großer Ruhe, auch akustischer Ruhe. Fast alle Szene spielen sich in geschlossenen Räumen ab, meist auch befinden sich nicht mehr als zwei Personen in diesen Räumen: Besprechungszimmern, Pkws, Mietwohnungen. Und doch gelingt es Paul Plamper und seinem Tontechniker Titus Maderlechner, das Ambiente, ohne ein einziges Mal Musik zu verwenden, immer lebendig und abwechslungsreich klingen zu lassen. Vor allem die Übergänge zwischen den beiden Erzählsträngen sind fein gearbeitet; manchmal ist es bloß ein leises Rauschen, ein Knarren oder Klappern, sind es ein Stuhl, ein Tisch oder der Wind, die einen akustisch von einem Jahrhundert ins andere tragen.

Daran, dass dieses Hörspiel über ein Aufregerthema extrem unaufgeregt daherkommt, haben auch die Sprecher großen Anteil. Mit Natürlichkeit füllen sie ihre Rollen aus, besonders Olivier Djommou als Martin und Sandra Hüller, die alle Kolonialzeit-Figuren spielt, sind hier hervorzuheben. Sie setzen perfekt um, was man den dokumentarischen Ansatz Paul Plampers nennen kann. Plamper, seit fünfzehn Jahren einer der produktivsten Hörspielautoren und Regisseure, verfolgt diesen dokumentarischen Ansatz schon seit "Top Hit leichtgemacht" von 2002 und hat ihn in so unterschiedlichen Stücken wie "Hochhaus" oder "Der Kauf" perfektioniert: Auch wenn alles Spiel einem Manuskript folgt, hat man mitunter den Eindruck, einem Feature zu folgen, echten Personen mit wirklichen, höchst aktuellen Problemen, seien dies Probleme mit dem Immobilienwahnsinn unserer Zeit oder eben Flucht- und Vertreibungsgeschichten.

Wobei die beiden Geschichten, die Plamper in "Dienstbare Geister" erzählt, eher Flucht- als Vertreibungsgeschichten sind. Ihre Ähnlichkeiten wie ihre Unterschiede behandelt er mit großer Selbstverständlichkeit. Dabei verleitet Plampers Regie keineswegs dazu, Partei zu ergreifen. Vielmehr wirbt sein Hörspiel auf leise Weise für Verständnis. Dass man nicht, wie im Fall von Martin, unbedingt mit dem Tod bedroht sein muss, um sein Land mit Recht verlassen zu wollen. Und dafür, dass wir immer Kinder unserer Zeit sind, nicht böser oder besser als unsere Vorfahren vor hundert Jahren es einst gewesen waren.

Paul Plamper: Dienstbare Geister. Hörspielpark, Berlin 2017. 2 CDs, 106 Minuten, 16 Euro (Download 9 Euro).

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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