Die Stasi und die Medien:Spitzel wie wir

Lesezeit: 3 min

Die innere Unsicherheit und der schwierige Umgang der Medien mit ihren Stasi-Fällen: Lügen von oben, tragische Verwechslungen, vorschnelle Urteile und neue Verdächtige.

Hans Leyendecker

Oft leiden Politiker und Wirtschaftsführer an chronischer Amnesie, aber auch Journalisten können von argem Gedächtnisschwund geplagt sein. Besonders schwere Fälle von Erinnerungslosigkeit löst regelmäßig das Thema Stasi aus. So diskutierte vor gut zehn Jahren ein Redakteur des Deutschlandradios Berlin mit drei Redakteuren der Berliner Zeitung über "Täter und Opfer".

Szene aus dem Film "Helden wie wir", der die Geschichte eines naiven Stasi-Spitzels erzählt, welcher die Mauer zu Fall bringt. (Foto: Foto: dpa)

Zu den Diskutanten gehörte damals auch Thomas Leinkauf, seit 1979 Redakteur bei dem Ost-Berliner Blatt. Er sprach über die Kunst der Verdrängung, fragte nach dem Unterschied zwischen einem inoffiziellen Mitarbeiter (IM) und einem SED-Journalisten und blieb ansonsten im Ungefähren.

Einmal erwähnte er einen inzwischen entlassenen Kollegen, der tatsächlich für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gearbeitet habe und nach der Wende entlassen worden sei: "Das war, wenn ich mich richtig erinnere, der einzige Fall, was Leute innerhalb der Redaktion betrifft."

Fassungslosigkeit

Vor ein paar Monaten wurde der von vielen Journalisten hochgeachtete Leinkauf, der Leiter des Wochenendmagazins und der Reporterseite war, als ehemaliger Zuträger des MfS enttarnt, und sein Fall hinterließ Fassungslosigkeit. Die Lüge von innen, gespaltene Persönlichkeiten - solche Merkwürdigkeiten treten beim Thema Stasi und die Medien en masse auf. Dieser Teil der Zeitgeschichte ist für Journalisten ein Minenfeld, und viele Sender und Verlagshäuser tun sich beim Umgang mit der eigenen Geschichte erkennbar schwer.

Der Umgang mit der eigenen Geschichte fällt auch deshalb schwer, weil Biographien und Lebensleistungen nicht allein an den Akten eines Geheimdienstes gemessen werden dürfen, der Wirklichkeiten verzerrt. Auch darf gefragt werden, ob diejenigen, die mit Hilfe von Stasi-Akten Karrieren abschneiden, ähnlich rigoros bei den Propagandisten der Nazis verfahren wären, die 1945 nach der Wende große Karriere im Westen machten: Viele der NS-Schreiber wurden Chefs.

Redaktionen gehen unterschiedlich mit dem Thema Stasi um: Die Lausitzer Rundschau, ein ehemaliges SED-Blatt, veröffentlichte 2001 in eigener Sache die Klarnamen und Decknamen von Mitarbeitern. Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme, der von 1990 bis 1994 Herausgeber der Berliner Zeitung war, wünschte sich mal eine Flut, die Stasi-Akten wegspüle. Er schnüffle niemandem in der Redaktion hinterher.

Banale Infos

Am Dienstagabend wurde im Auswärtigen Amt das Buch "Operation Fernsehen: Die Stasi und die Medien in Ost und West" vorgestellt. Bei der Präsentation sprach der Vorsitzende der Historischen Kommission der ARD, Dietrich Schwarzkopf, von der Stasi als "never ending story", und die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, wies darauf hin, dass "banale Informationen zu einer Waffe gegen Menschen werden konnten".

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie es zu einer - nicht böswilligen - Verwechslung kam.

Das Buch enthält auch einige Kapitel einer Studie, die Ende des Monats von der ARD veröffentlicht werden soll und nennt die Klarnamen enttarnter IM im Westen. Die ARD will die Namen allerdings schwärzen.

Der derzeitige Vorsitzende des Senderbundes, Fritz Raff, der als Intendant des Saarländischen Rundfunks Erfahrungen mit sehr freien Stasi-Mitarbeitern machen musste, verweist auf Persönlichkeits- und Datenschutz, warnt vor "Jagdeifer auf Einzelpersonen" und empfiehlt Strukturanalysen. Stasi-Forscher Jochen Staadt, sowohl Mitautor des vorgestellten Buches als auch der ARD-Studie, protestierte in einer E-Mail gegen die Schwärzungen und will "Ross und Reiter" nennen können. Auch der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen verlangt im Medienmagazin "Zapp", alle Karten auf den Tisch zu legen, weil ansonsten der Ruch bleibe, "dass wir irgendetwas verbergen wollten". Aber die Schwärzungen sollen nicht ausradiert werden.

Den Verantwortlichen peinlich

Fest steht, dass ARD und ZDF bei der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte reichlich Fehler gemacht haben. Schonungslos war vor einigen Jahren der Bericht "Giftspinne im Äther des NDR", und dieses Werk ist heute den Verantwortlichen ziemlich peinlich. Neben einigen bekannten Fällen von Infiltrierung durch die Stasi wurden NDR-Reporter vorgeführt, die tadelsfrei gearbeitet hatten.

Auch der Lerchenberg in Mainz bebte. So erstellte das ZDF einen Stasi-Film in eigener Sache und musste kurz vor Ausstrahlung Teile der Dokumentation korrigieren. Angeblich stand der frühere Ost-Berliner ZDF-Korrespondent Michael Schmitz, der Leiter des Wiener ZDF-Auslandsstudios ist, im Verdacht, IM "Cousin" gewesen zu sein und ausgerechnet sein Sender wollte diesen ungeheuerlichen und falschen Verdacht befördern. Das Werk wurde Medienvertretern vorab gezeigt und erhielt fast hymnischen Beifall. Die Blätter berichteten ausführlich über den verdächtigen Schmitz.

Der wehrte sich und konnte im letzten Augenblick vermeiden, dass der "rufschädigende Unfug" (Schmitz) gesendet wurde. Der Autor des Films hatte sich verrannt, die redaktionelle Kontrolle hatte versagt. ZDF-Intendant Markus Schächter sprach von einer "tragischen - nicht böswilligen - Verwechslung". Es gebe keine Anhaltspunkte für eine IM-Tätigkeit von Schmitz, ließ die Birthler-Behörde wissen.

Wissentlich und willentlich

In diesen Tagen beschäftigt die steril aufgeregte Branche eine neue Personalie: Der langjährige Chefredakteur von ARD-aktuell ("Tagesschau", "Tagesthemen"), Bernhard Wabnitz, der Ende der achtziger Jahre Redaktionsgruppenleiter Innenpolitik beim Bayerischen Rundfunk war, soll angeblich der vielgesuchte IM "Junior" sein, der mindestens von 1982 bis 1987 für die Stasi gearbeitet hat.

Frau Birthler erklärt dazu: "Der Tatsache, dass wir diese Unterlagen herausgegeben haben, können Sie entnehmen, dass wir unserer Sache sicher sind."

Aber was ist schon sicher?

Wabnitz, der Korrespondent in Rom ist, bestreitet diesen Vorwurf mindestens so energisch wie Schmitz und hat bereits bei Gericht obsiegt. Möglicherweise, verlautet aus seiner Umgebung, sei er abgeschöpft worden. Mehr auf keinen Fall. "Wissentlich und willentlich" habe Wabnitz nie mit der Stasi was zu tun gehabt.

© SZ vom 7.11.2008/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: