Die Palast-Galerie:Aus der Traum

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Für das Foyer seines Repräsentationsbaus bestellte das Politbüro der Einheitspartei SED großformatige Gemälde. Mit dem Ergebnis war man nicht zufrieden.

Von Till Briegleb

Es lässt sich heute nicht mehr wirklich rekonstruieren, wie willentlich der DDR-Staat mit dem merkwürdigen Ausstellungstitel "Dürfen Kommunisten träumen?" vorgeführt werden sollte. An dem vielleicht wichtigsten Ort der staatlichen Selbstdarstellung, dem 1976 eröffneten Palast der Republik, sollte dieses Rätselthema 16 Malern als Leitmotiv dienen, um das Leben im Arbeiter- und Bauernstaat zu verherrlichen. Doch die skeptische Frage passte ganz offensichtlich nicht so recht zum eigentlichen Propaganda-Auftrag. Legte sie doch nahe, der Allmachtsanspruch der Einheitspartei könne aufs Träumen ausgeweitet werden, was die Autorität der SED eher lächerlich gemacht haben dürfte. Andererseits konnte die Frage als subtile Aufforderung verstanden werden, über die Grenzen des Materialismus und der Staatsdoktrin hinaus zu träumen.

Eigentlich wollten die Bosse aus dem Politbüro eh viel lieber, dass die Auftragskünstler ihren Palazzo Prozzo nach dem Motto "Kampf und Sieg des Sozialismus" ausschmückten. Aber das konnte ihnen Fritz Cremer mit unbekannten Argumenten als unzeitgemäß ausreden. Cremer war als altgedienter Kommunist und sozialistischer Aufbauplastiker Cheforganisator dieser permanenten Ausstellung auf der Galerie des neuen "Volkshauses der DDR". Er lud die Vorzugskünstler ein und sorgte für die Abstimmung und Abwicklung des Riesenprojektes. Und er hatte Lenin auf seiner Seite, als er diesen sonderlichen Titel vorschlug, der so offensichtlich subversives Potenzial besaß. Lenin hatte 1902 in seiner Schrift "Was tun?" einige Absätze über das Träumen geschrieben. Darin stellte er sich vor, dass ihn ein Parteijournalist fragt: "Hat eine autonome Redaktion überhaupt das Recht, ohne vorherige Befragung des Parteikomitees zu träumen?" Lenin beantwortet sie mit der fast resigniert klingenden Antwort, dass es in ihrer Bewegung viel zu wenig Träume gäbe, woran jene schuld sind, die sich "damit brüsten, wie nüchtern sie seien".

Vermutlich hat diesen Abschnitt keiner der nüchternen Parteiverantwortlichen gelesen, jedenfalls akzeptierte das Politbüro den Vorschlag Cremers, vermutlich auch wegen des enormen Zeitdrucks, der auf dem Palastprojekt lastete. Der Bau am Ort des gesprengten Stadtschlosses musste unbedingt zum IX. Parteitag der SED am 18. Mai 1976 fertig sein, auf dem Erich Honecker das Staatszepter übernahm. Und so konnte Cremer offenbar relativ autonom mit dem Bildschmuckprogramm und seinen Erstellern umgehen.

Jedenfalls fiel das Resultat der 16 großformatigen Gemälde, die nach über 20-jähriger Depotverwahrung jetzt im Museum Barberini erstmals wieder komplett zu sehen sind, nicht wirklich als plakative Schmeichelei für den deutschen Schrebergarten-Stalinismus und sein regierendes Kleinbürgertum aus. Die Partei selbst kam sogar gar nicht vor. Vielmehr erhielt "Erichs Lampenladen" im Foyer statt repräsentativer Staatskunst im Geiste des Sozialistischen Realismus einen repräsentativen Querschnitt durch das offizielle Kunstleben der DDR.

Tatsächlich malten die meisten der ausschließlich männlichen Künstler nur neue Varianten von dem, was sie schon immer taten. Werner Tübke lieferte einen unvollständigen Altar mit schwer zu entschlüsselnden Motiven aus der Kunstgeschichte im Stil seines pathetischen Manierismus ab. Bernhard Heisig schuf ein weiteres der für ihn typischen Ikarus-Motive. Willi Sitte steuerte unter dem Titel "Die Rote Fahne - Kampf, Leid und Sieg" eine Collage aus nackten, verrenkten Proletarierkörpern und berühmten Sozialistenkonterfeis bei. Und Wolfgang Mattheuer verwendete für den einzigen Staatsauftrag, den er angenommen hat, eine ältere Komposition und blies sie quadratisch auf 2,80 Meter Seitenlänge auf, was das verbindliche Höhenmaß für die Galerie war.

Auffällig an den bis zu sechs Meter breiten Formaten dieser Leistungsschau ist die Vielzahl der Wimmelbilder. Über die Hälfte der Exponate ist überladen mit Figurengruppen, die nur selten den Ausdruck persönlicher Geschichte zeigen. Etwa bei Erhard Großmanns Bauernbild "Tadschikistan", das trotz seiner starren Komposition die Mitglieder einer Landwirtschaftsbrigade mit einer gewissen Lebendigkeit zeigt - wobei die stilistischen Anleihen beim sowjetischen Ausnahme-Propagandisten Alexander Deineka dem Bild etwas Epigonenhaftes geben.

Ansonsten ist Individualität ein Opfer der Selbstzensur. Aufgetürmt zu zombiehaften Körperwellen oder als geisterhafte Kolonnen in Arbeitskleidung beherrscht die Masse als Hauptfigur die meisten Bildinhalte. Als christliche Dichotomie von Himmel und Hölle bei Ronald Paris, als ornamentaler Tanzkitsch junger Körper bei Lothar Zitzmann oder als rote Nackedeis, die aus dem grauen Beton hervorplatzen, wie bei Matthias Wegehaupt, sind Menschen Illustrationsmaterial für Überwältigungsrhetorik.

Dem entgegen stehen extrem schematische Idyllen des sozialistischen Alltags, etwa mit gesichtslosen FKKlern am Strand von Hans Vent oder Studenten und Werktätigen in den naiven Symbolbildern von Arno Mohr oder Kurt Robbel. Das gelenkte Kunstschaffen der DDR zeigte hier sowohl seine stilistische Breite wie seine Empfänglichkeit für das demagogische Gebell. Und trotzdem war diese Zusammenstellung der künstlerischen Staatstreue eine Enttäuschung für die herrschenden Volksgenossen. Sie empfanden das überquellende Bildprogramm der meisten Werke als zu "intelligenzintensiv", womit gemeinhin Kunst gescholten wurde, die für das Volk nicht zu verstehen sei.

Die Rezeption dieser prominenten Versammlung wohlgelittener Staats-Künstler - inklusive der "Großen Vier", Sitte, Tübke, Heisig und Mattheuer - war von Seiten der staatlich gelenkten Presse dann auch eher zurückhaltend, wie der Kurator der Ausstellung und Autor des begleitenden Buches "Dürfen Kommunisten träumen?", Michael Philipp, erzählt. Da wegen der negativen Haltung einiger SED-Politiker ein Eklat drohte, musste der berühmte DDR-Kunsthistoriker Peter H. Feist umgehend einen kurzen Text zu jedem Bild verfassen, der die Werke ideologisch autorisierte. Anschließend strömten die Menschen in den neuen Palast, und bald nach der Eröffnung konnte vermeldet werden, dass bereits Hunderttausende die kommunistischen Träume betrachtet hätten.

Für die Reputation der beteiligten Maler - im Ausland und bei den Künstlern der DDR, die unter den dortigen Zensurmaßnahmen litten - wirkte diese Galerie eher verheerend. Noch in Nachrufen lange nach der Wende las man den Vorwurf, die Unterwerfung unter dieses Staatsprojekt hätte ihre Integrität diskreditiert - und das schrieben selbst Autoren, die sich um die Rehabilitation der DDR-Kunst bemühten, die nach 1989 mit dem Pauschalurteil konfrontiert war, nur ästhetischen Opportunismus betrieben zu haben.

Ein dokumentarischer Raum im Museum beleuchtet diese Zusammenhänge für alle, die mit den Umständen dieses missglückten Versuchs, Kunst als politisches Eigenlob zu bestellen, nicht mehr vertraut sind. In einer Zeit, wo viele sich gestresst von den Krisen des Kapitalismus fragen, ob man wieder vom Kommunismus träumen darf, mag dieses historische Rätsel erneut irritierende Fragen stellen.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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