Die Münchner Jahre:Es fallen reife Früchte

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Paul Klee verbringt in der liberalen Kunststadt prägende Jahre. Dem Ersten Weltkrieg entkommt er aber auch hier nicht - er muss in der Flugwerft dienen.

Von Sabine Reithmaier

Paul Klee lebt - mit einigen Unterbrechungen - von 1898 bis 1921 in München. Er kommt als unbekannter 19-Jähriger, um an der Kunstakademie München zu studieren. Als er 23 Jahre später die Stadt verlässt und dem Ruf ans Bauhaus in Weimar folgt, ist er eine umjubelte Kultfigur der jungen Kunst.

Dabei ist sein Start in München wenig erfolgversprechend. Franz von Stuck lehnt die Aufnahme des jungen Berners in die Akademie ab; das widerfuhr auch Wassily Kandinsky und Emil Nolde. So studiert Klee zwei Jahre an einer privaten Zeichenschule in der Amalienstraße. Bei der zweiten Bewerbung im Jahr 1900 klappt es: Stuck nimmt ihn auf, aber Klee findet den Lehrbetrieb so enttäuschend, dass er sein Studium wieder beendet und 1902 aus München verschwindet.

Vier Jahre später kehrt er zurück, nicht allein, sondern mit seiner Frau, der Münchner Pianistin Lily Stumpf. Von dem Gartenhaus in der Ainmillerstraße 32, in das die beiden ziehen, steht nur mehr eine Brandmauer. Lily unterrichtet im Klavierzimmer, Paul zeichnet und kocht in der Küche und blickt dabei auf ein rotbraunes Haus im Hinterhof. Wenn der 1907 geborene Sohn Felix sein Kasperltheater aufbauen will, hängt der Vater die Tür zwischen Wohn- und Schlafzimmer aus.

Als Künstler macht er Fortschritte. 1908 schafft er es im Bild "Belebte Straße mit dem Balkon" sich erstmals von der rein gegenständlichen Wiedergabe lösen. "Gesehen hatte ich das Bild schon einige Tage vorher, natürlich vom Küchenbalkon aus, welches mein einziger Ausgang war. Dann vermochte ich mich von allem Zufälligen dieses Stückes 'Natur' loszulösen, sowohl in der Zeichnung als in der Tonalität und gab nur das 'Typische' in durchgedachter formaler Genesis wieder", schreibt er. In dieser produktiven Zeit lernt er viele andere Maler kennen, Alfred Kubin etwa, der Klee sehr schätzt und früh seine Zeichnungen zu sammeln beginnt. "Kubin, der Gönner ist gekommen. Er tat so recht begeistert, dass er mich hinriss. Wir saßen wirklich begeistert vor meinen Zeichnungen! Wirklich ganz begeistert! In heißer Begeisterung!", notiert Paul Klee 1910.

1911 macht er die Bekanntschaft Kandinskys, "der ein Haus weiter wohnt, dieser Kandinsky, den Lully (Louis Moilliet) Schlabinsky nennt" (Tagebuch) und dessen Bilder ohne Gegenstand Klee erst merkwürdig findet. Näher steht ihm da Franz Marc. Er schließt sich der Künstlervereinigung "Blauer Reiter" an, beteiligt sich 1912 mit 17 Werken an deren zweiter Ausstellung. Ein anderer Nachbar ist der Dichter Rainer Maria Rilke, der 1914 bis 1916 in der Finkenstraße 2 wohnt, und nach dem Krieg sogar ebenfalls in die Ainmillerstraße zieht. "1915 brachte mir Klee etwa 60 seiner Blätter - farbige - ins Haus und ich durfte sie monatelang behalten: sie haben mich vielfach angezogen und beschäftigt . . ." , schreibt Rilke 1921 an Baladine Klossowska. Klee hatte ihm Blätter der berühmten Tunisreise zur Ansicht gegeben, die er 1914 mit August Macke und Louis Moilliet unternommen hatte.

Der Krieg unterbricht alle Planungen. Marc meldet sich freiwillig, Klee nicht. Am 8. Februar 1916 schreibt er an Kubin: "Denken Sie, nun soll ich doch noch Soldat werden, 'kriegsverwendungsfähig' steht auf dem neuen Wapperl, dass sie mir aufgepappt haben. [...]Ich nehme es als Scherz im grössern Stil." Am 6. März 1916 erhält der Maler, der den Krieg "für eine große europäische Krankheit" hält, den "roten Zeddel" mit seiner Einberufung zum Militärdienst.

Auf der Fliegerwerft Oberschleißheim lackiert Klee Flugzeuge

Am selben Tag kommt ein Telegramm Maria Marcs, das ihn darüber informiert, dass sein Freund am 4. März gefallen ist. In "Ankunft des Fallschirmboten" hat Klee den Tag verarbeitet. Wie ein Verkündigungsengel schwebt der Bote herab, direkt auf einen Mann zu, der auf dem Boden liegt und ihn mit hervorquellenden Augen anstarrt. Wenige Tage später, am 11. März, startet er nach Landshut zu seiner "verspäteten Rekrutenschule", die 131 Tage dauern sollte. Trotz der harten Ausbildung hat er, wie er es formuliert, ein einigermaßen gebildetes Dasein" und konnte regelmäßig "ein bißchen malen, etwas geigen". Ein Fronteinsatz bleibt ihm erspart, obwohl er sich dieser Gefahr ständig bewusst ist. Er wird der Fliegerwerft Oberschleißheim als Pionier zugewiesen. Dort braucht man "Maler": Klee lackiert Flugzeuge, bessert beschädigte Hoheitszeichen aus, malt mit Schablonen Nummern auf. Auch das hat Spuren in seinem Werk hinterlassen.

Im Januar 1917 versetzt man ihn an die Königlich Bayerische Fliegerschule nach Gersthofen. Er wird als Schreibgehilfe in der Kasernenverwaltung eingesetzt, das "Gespenst Schützengraben ist nicht mehr wirksam", notiert er erleichtert. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Ereignisse auf dem Flugplatz zu dokumentieren, auch die Unfälle mit den Flugschülern. Sarkastisch kommentiert er im Tagebuch: "Diese Woche hatten wir drei Tote, einer vom Propeller derschlagen, zwei derhutzten sich aus der Luft. Ein vierter sauste gestern mit Krach, Splitter-Riß und Schurf auf das Dach der Werft . . . Schön war's."

Auch hier mietet er sich privat ein Zimmer, um besser arbeiten zu können, zeichnet auch in der Schreibstube. "Graphisch besonders fallen jetzt reife, erstaunliche Früchte ab", schreibt er. Bis dahin hatte er es für unmöglich gehalten, Krieg und Kunst zu vereinen, hatte sein Konzept einer subjektiven Abstraktion sogar damit begründet. Doch jetzt stellt er fest, dass die widerstreitenden Kräfte sich nicht ausschließen, sondern einander bedingen. "Neues bereitet sich vor, es wird das Teuflische zur Gleichzeitigkeit mit dem Himmlischen verschmolzen", schreibt er im Juli 1917 an Lily.

Nach dem Krieg mietet er sich ein Atelier in verlotterten Stadtschloss Suresnes, auch bekannt als Werneckschlösschen, und beginnt, wie besessen zu arbeiten. Er hat mit seinen verrätselten, kindlich wirkenden Aquarellen den ersten Höhepunkt seiner Laufbahn bereits während des Krieges erreicht. Beflügelt vom Erfolg malt er überwiegend kleine Ölbilder, setzt sich gezielt mit den Parallelen von Malerei und Musik auseinander, entwickelt seine eigentümlichen Bildschriften, schafft rhythmische Landschaften. 362 Arbeiten zeigt er 1920 in der ersten großen Retrospektive in der Galerie Neue Kunst von Hans Goltz. Und verlässt die Stadt Anfang 1921, um nach Weimar zu ziehen.

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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