Die Mafia und der Vatikan:Rom brennt

Lesezeit: 4 min

(Foto: dimitrov)

Das Autorengespann Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini macht aus den Verfehlungen der aktuellen italienischen Politik einen rasanten Thriller.

Von Maike Albath

Giancarlo De Cataldo kennt Rom wie die Taschen seiner Richterrobe. 1995 führte er unter dem Vorsitz von Francesco Amato einen aufsehenerregenden Prozess gegen die Magliana-Bande, eine kriminelle Organisation, die Mitte der Siebzigerjahre in dem Stadtviertel Magliana ihren Ursprung hatte und nach den klassischen Regeln des Kapitalismus ein äußerst effizientes Monopol errichtete.

Die Gruppe kontrollierte die Geschäftszweige Glücksspiel, Drogenhandel, Waffenverkauf und Entführungen, unterhielt Verbindungen zu Neo-Faschisten und linksextremistischen Terroristen, setzte wankelmütige Politiker auf ihre Gehaltsliste, hatte bei der Ermordung Aldo Moros, bei dem Attentat auf den Bahnhof von Bologna und etlichen weiteren Anschlägen ihre Finger im Spiel. Sogar ein Abkommen mit den Vertretern der Mafia, der Camorra und der 'Ndrangheta gelang. Nachdem einem Teil der Bande das Handwerk gelegt war, beschloss De Cataldo, Jahrgang 1956 und aus Apulien gebürtig, auf mehreren Ebenen gegen das korrupte Rom in Aktion zu treten, und ergriff einen Zweitberuf. Er arbeitete sein Hängeregister ab.

Der Roman jongliert mit realen Geschehnissen, die nur verdichtet und geschickt überspitzt werden

In seinem Debüt "Romanzo Criminale" (2002), einer sagenhaften Dreigroschenoper über den Aufstieg des Syndikats aus der Magliana, durchleuchtete er die Verflechtungen von organisierter Kriminalität, Politik und Wirtschaft, und seither lässt ihn das, was sich unter der gravitätischen Oberfläche der Hauptstadt abspielt, nicht mehr los. Eine Reihe von Romanen und Drehbüchern entstand, aber neuerdings gewinnen seine Bücher eine zusätzliche Qualität. Von der historischen Rekonstruktion ist De Cataldo auf die Aktualität umgeschwenkt, was auch an seinem Kompagnon liegt. Gemeinsam mit dem investigativen Journalisten Carlo Bonini, elf Jahre jünger als De Cataldo und von Berufs wegen mit sämtlichen Abgründen der Hauptstadt vertraut, legt er jetzt "Die Nacht von Rom" vor. Es schließt direkt an "Suburra" an, einen Thriller des Duos, der im Original 2013 herauskam, verfilmt wurde und die unter dem Begriff Mafia capitale aktenkundige und inzwischen vor Gericht verhandelte Unterwanderung des Verwaltungsapparats zum Gegenstand hatte.

Gelichtet hat sich das kriminelle Dickicht auch zwei Jahre später nicht, zumindest sieht es in "Die Nacht von Rom" nicht danach aus. Wieder orientiert sich das Doppelgespann De Cataldo / Bonini an einigen Fakten. Ein neuer Bürgermeister ist im Amt, der unbescholtene Martin Giardino, wegen seines Rigorismus auch "der Deutsche" genannt. "Giardino" bedeutet "Garten", was das utopische Potenzial des Mannes unterstreicht; außerdem klingt sein Name wie ein Echo von Ignazio Marino, dem tatsächlichen Bürgermeister Roms, der im Herbst 2015 zurücktreten musste.

Ähnlich wie Marino bricht Giardino mit dem alten System und entfaltet einen Aktivismus, wie ihn die Stadt am Tiber lange nicht erlebt hat: Unter den Firmen, die sich seit Jahrzehnten am Bau der Metrolinie C bereichern, wird aufgeräumt, etliche alteingesessene Unternehmer haben das Nachsehen. Aber der Bürgermeister stößt auf Widerstand, sogar unter seinen Gefolgsleuten: In Rom, so ist es Konsens, paktiert man mit den dunklen Mächten - oder arrangiert sich zumindest, wie es sein Vize Malgradi seit jeher tut. Als Papst Franziskus am 13. März 2015 ein außerordentliches Heiliges Jahr ausruft, werden neue Begehrlichkeiten geweckt. Baulöwen, semilegale Firmen, korrupte Politiker und gewöhnliche Mafiosi wittern Geschäfte.

Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini verstehen ihr Handwerk. Sie jonglieren mit Realien, aber verdichten und überspitzen sie und benutzen einen Erbfolgekrieg der Unterwelt als Treibriemen für ihren Plot. Der Boss Samurai, letzter Nachkomme der Magliana-Bande, sitzt im Gefängnis. Zwar hält er noch die Fäden in der Hand, aber der luxusversessene Fabio Desideri bringt sich in Stellung und greift Samurais Stellvertreter Sebastiano Laurenti frontal an. Es gibt Tote, Sebastiano muss bei Fabio fremde Schulden begleichen, plötzlich werden die Konten in der sonst so verlässlichen Bank des Vatikans gesperrt, und Sebastiano Laurenti ist gezwungen, sich in London bei einem dubiosen Exilitaliener mit Bargeld zu versorgen.

Natürlich darf in einer derartigen Konstellation eine Frau nicht fehlen, und wie es sich für einen italienischen Krimi gehört, schlägt ihre Schönheit Verbrecher und Vertreter der Legalität gleichermaßen in den Bann. Chiara Visone, Abgeordnete der Partei des Bürgermeisters, kennt die Schwächen italienischer Männer und will vor allem eines: politischen Erfolg. Der smarte Sebastiano Laurenti imponiert ihr, und sie lässt sich auf eine Affäre mit ihm ein. Zuvor war Chiara die Gefährtin des letzten aufrechten Linken gewesen. Genau dieser Adriano Polimeni, der einen Riecher für schmutzige Intrigen hat, wird zum Sonderbeauftragten für das Heilige Jahr ernannt. Anders als der leutselige Bürgermeister Giardino macht sich Polimeni keine Illusionen; er durchschaut auch schnell das doppelte Spiel von Laurenti. Immerhin bekommt er Verstärkung von ganz oben: Papst Franziskus räumt in den eigenen Reihen auf, schickt zweifelhafte Vertreter des Vatikans ins Ausland und bestimmt einen unbestechlichen jungen Kardinal zum Verantwortlichen für das Heilige Jahr.

Spannende Unterhaltung und politische Aufklärung bietet "Die Nacht von Rom" in einem

"Die Nacht von Rom" hat alles, was einen guten Krimi ausmacht. Tempo, Spannung, griffige Figuren, die wie auf einem Schachbrett hin und hergeschoben werden, schnell getaktete Schauplatzwechsel, Spuren einer Liebesgeschichte, etliche Leichen. Nebenbei vermittelt der Roman bestürzende Erkenntnisse über den Zustand Italiens. Im Handumdrehen kann Sebastiano Laurenti die Hauptstadt in Anarchie stürzen. Die Müllabfuhr stellt ihre Arbeit ein, es kommt zu Überfällen auf Flüchtlingsunterkünfte, die Peripherie brennt.

Laurenti und Polimeni sind ein klassisches Gegnerpaar mit Commedia-dell'Arte-Format. Auch soziologisch hat die Geschichte einiges zu bieten: Gepflogenheiten unter Postfaschisten werden ebenso gestreift wie die Kleidungsgewohnheiten unter Neureichen. Erst nach einer Weile fällt einem auf, dass ein klassisches Element des Krimis fehlt: ein unbeirrbarer Kommissar, ein tüchtiger Carabiniere oder wenigstens ein hartgesottener Detektiv. Diese Position haben die Autoren selbst eingenommen. Ihr Thriller bietet Aufklärung, ohne auf Unterhaltung zu verzichten. Nur eine Sache ist kaum zu ertragen an dem neuen Roman des Doppelgespanns: Es steckt enorm viel Wahrheit darin.

Giancarlo De Cataldo / Carlo Bonini: Die Nacht von Rom. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio Verlag, Wien und Bozen 2016. 303 Seiten, 24 Euro. E-Book 16,99 Euro.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: