Die Hetzjagd von Mügeln und das Ansehen des Vaterlandes:Wir, nicht ihr

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Politiker sorgen sich nicht um die verprügelten Inder, sondern um den "Wirtschaftsstandort Deutschland": Der Debatte über die Hetzjagd von Mügeln fehlt ein Mindestmaß an Anstand.

Thomas Steinfeld

Den acht Indern, die vor ein paar Tagen im sächsischen Städtchen Mügeln so furchtbar verprügelt wurden, dass schon ihr Anblick schmerzte, tun vermutlich noch immer alle Knochen weh, da müssen sie sich schon damit abfinden, nur noch als Anlass einer Auseinandersetzung zwischen Politikern zu figurieren. Da wollen Sozialdemokraten, dass sich fortan nicht mehr die Familienministerin um den Rechtsradikalismus kümmert, sondern der Innenminister.

Die Bundesregierung will die Ausländerbeauftragten der ostdeutschen Länder zusammenbringen, damit über die Bekämpfung von Fremdenhass und Rechtsextremismus beraten werde. Und der vielgescholtene Bürgermeister von Mügeln beklagt sich, von der großen Politik im Stich gelassen zu werden. Womit er recht hat. Sein Ort und dessen Bewohner werden längst für Anliegen beansprucht, mit denen sie nur sehr bedingt etwas zu tun haben: dem Ansehen des Vaterlands an anderen Orten vor allem.

Merkt denn keiner, wie furchtbar das Argument ist, mit dem in diesem Fall zuerst Wolfgang Thierse an die Öffentlichkeit trat, und das nun wie ein Mantra wiederholt wird, von Sachsens Ministerpräsident Milbradt bis zu Vertretern der Arbeitgeberverbände? Er fürchte um die Attraktivität des "Wirtschaftsstandorts Deutschland", erklärte Wolfgang Thierse einer Berliner Zeitung: "Je schlechter der Ruf Deutschlands ist, umso weniger werden die Leute, die wir brauchen können für unseren Wohlstand und Fortschritt, kommen."

Vermutlich spricht er solche Sätze in pädagogischer Absicht, um Rechtsradikale vom Prügeln abzuhalten: "Seht ihr denn nicht, dass ihr der Nation schadet, die ihr angeblich so sehr liebt" - so lautet das Argument in einer volkstümlicheren Fassung. Aber in diesem offensiven Bekenntnis zur Nation liegt das Problem.

Man will Wolfgang Thierse nicht unterstellen, dass ihm bewusst ist, welche Umkehrschlüsse sein Argument erlaubt. Er wird nicht gemeint haben, dass es durchaus zulässig sei, Ausländer zu verprügeln, wenn der "Wirtschaftsstandort" dadurch nicht in Gefahr gerate. Er wird ebenso wenig gedacht haben, dass es ein Unglück sei, dass die Schlägerei die internationalen Medien erreichte - und um wie viel besser es gewesen wäre, hätte man die Inder nur im Verborgenen verdroschen.

Und schon gar nicht wird er auf die Idee gekommen sein, der Artikel eins - "die Würde des Menschen ist unantastbar" - sei nur deshalb ins Grundgesetz aufgenommen worden, damit Deutschlands Ruf im Ausland nicht leide. Und doch gehören diese Umkehrschlüsse zu seinem Argument. Das liegt an dessen erbarmungslosem Funktionalismus, an der Rohheit, mit der darin vom Nutzen die Rede ist, der von Ausländern für "uns" erbracht werden soll - je nach Bedarfslage, versteht sich.

In diesen Tagen wird wieder einmal viel darüber gerätselt, warum es den deutschen Politikern so schwerfällt, mit dem Rechtsradikalismus umzugehen. Eines ist dabei von vornherein klar: Jemand, der, wie Georg Milbradt, erst einmal ermitteln lassen will, ob sich hinter dem exklusiven Verprügeln von acht Indern durch fünfzig Deutsche rassistische Motive verbergen, bevor er dieses Unternehmen tatsächlich für praktizierten Rassismus hält, wird es in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus nicht weit bringen. Obwohl er seine Augen womöglich ebenfalls zum Besten der Nation verschließt.

Der Grund für dieses Unvermögen dürfte aber auch in Argumenten liegen, wie sie Wolfgang Thierse anführt. Denn es fehlt nicht viel - und sie gäben den Rechtsradikalen recht in deren fanatischem Nationalismus, in der substantiellen Unterscheidung zwischen Deutschen und Ausländern, in der Sortierung der Menschheit in ein Volk, das andere brauchen kann, und anderen Völkern, die einem deswegen gleichgültig sein können. Es ist schwierig, ja sinnlos, mit nationalem Idealismus gegen Leute anzureden, die selbst radikale Idealisten der Nation sind.

Sechs Stunden ohne Hilfe

Und wenn das Problem sich am Ende auf die Unterscheidung kürzen lässt, das Furchtbare an solchen Überfällen bestehe darin, dass hier ein paar Dutzend Betrunkene die deutsche Ausländerpolitik in die eigenen Hände genommen und ihrem privaten Rassismus freien Lauf gelassen haben - dann ist die Bekämpfung des Rechtsradikalismus, die jetzt in der Innenpolitik wieder höchste Priorität haben soll, tatsächlich nur das Gefasel, für das der Rechtsradikalismus ohnehin die Politik hält.

Was der Debatte um den Rechtsradikalismus und seine Überfälle auf Menschen mit "falscher" Hautfarbe in elementarer Weise fehlt, ist ein Mindestmaß an Anstand, an Takt, an Zivilisiertheit. Es gibt keinen sachlichen Grund, angesichts der zerschlagenen Gesichter von Mügeln eine politische Diskussion um die Attraktivität des "Wirtschaftsstandorts" anzuzetteln. Schlimmer noch: Tut man es dennoch, offenbart man, wie gleichgültig einem eine solche Schlägerei und seine Opfer sind.

Wenn es stimmt, was nun berichtet wird: Dass die acht Inder nämlich nach dem Überfall mehr als sechs Stunden auf dem Revier von Oschatz saßen, ohne dass ihnen ein Arzt geholfen hätte - die Nachricht würde allzu gut passen zur Vorstellung, in Menschen anderer Hautfarbe versteckten sich unter Umständen Leute, die "wir" einmal "brauchen" könnten.

© SZ vom 24.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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