Die Gläubigen (12):Der Heiler

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(Foto: Martin Schoeller)

Robert Zuben Ornelas ging mit 20 zur Bürgerrechtsbewegung der amerikanischen Ureinwohner - und fand überraschend zu Gott.

Foto und Protokoll von Martin Schoeller

New York ist der Ort mit der größten Zahl unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Der Fotograf Martin Schoeller porträtiert in seiner Kolumne jeden Freitag einen gläubigen Menschen aus dieser Stadt.

Robert Zuben Ornelas. Medicine Wheel. Ich bin ohne Glauben aufgewachsen. Meine Eltern litten noch unter den schweren Traumata der Kolonisierung. Ich musste dann auf eine katholische Schule gehen, aber das war für mich immer nur ein Glaubenssystem, kein Glaube. Das hatte für mich alles nichts mit dem Schöpfer zu tun. Mich hat das alles sehr verwirrt. Ich wollte eigentlich sehr fromm sein, aber dann predigten sie das eine und lebten das andere. Sie predigten den Frieden in der Schule und prügelten sich auf dem Parkplatz. Unser Priester wurde wegen Kindesmissbrauch verhaftet. All so was. Das Einzige, was ich verstand, war, dass das immer Menschen waren, die das taten, nicht Gott.

Ich selbst lebte ja auch in verschiedenen Zuständen der Kolonisierung. Ich bin in South Central Los Angeles aufgewachsen. Da gerät man in die Gangs, und ich wusste, dass mich die Gangs irgendwann umbringen. Also bin ich raus aus der Gang. Das war eine sehr in sich geschlossene Welt. Ein Freund nahm mich damals mit an den Strand. Da sah ich das erste weiße Mädchen in meinem Leben. Weiße Mädchen kannte ich nur aus dem Fernsehen.

Als ich ungefähr zwanzig war, schloss ich mich dem American Indian Movement an ( der Bürgerrechtsbewegung amerikanischer Ureinwohner, Anm. d. Red.). Aber die waren zu dem Zeitpunkt schon zutiefst korrupt, das FBI hatte den Laden unterwandert, es gab ziemlich viele Intrigen und Machtkämpfe. Dann ging es mir wie so vielen Menschen ohne Richtung und Glauben. Ich wurde Alkoholiker.

Das ist für unser Volk kein natürlicher Weg, auch wenn er irgendwie für uns normalisiert wurde. Aber es war leicht, weil jedes Mal, wenn ich richtig betrunken war, war das wie ein spirituelles Erlebnis. Das brachte mich zu einem Punkt, an dem es meine Kerze fast ausgeblasen hätte. Lustigerweise hatte ich aber weniger Angst vor dem Sterben, als mich zu blamieren. Ich hatte immer Angst, dass sie meine Tür eintreten, weil es so stinkt. Eines Nachts bat ich Gott dann um Hilfe. Ich hatte das Wort Gott seit Jahren nicht benutzt. Aber in der Nacht konnte ich erstmals wieder schlafen. Ich bin dann sofort zum Arzt. Der hat mich erst mal an den Tropf gehängt. So schlimm stand es schon um mich.

Ich habe dann zu den Anonymen Alkoholikern gefunden. Die wurden mein erster Stamm. Die haben mein Leben gerettet. Ich habe deren Lehren dann zu meinem Volk gebracht. Und die Ältesten haben gesagt, ja, wenn du deinen Leuten so helfen kannst. AA hat zwölf Schritte, unser Medizinrad zwölf Speichen. Warum bringst du das nicht zu uns. So fand ich zum Medicine Wheel, mit dem sich fast alle amerikanischen Ureinwohner identifizieren können. Wir haben keinen festen Gottesdienst, aber es gibt die Segnung, den Sonnentanz, das Gebet. Das hat eine unfassbare Kraft. Bei den Protesten gegen die Dakota-Pipeline in Standing Rock gab es nur keine Toten, weil Tausende hinter den Protestierenden für sie beteten. Und Tote hätte es fast gegeben.

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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