Die Geschichte der Deutschen:Hau´ druff - und Schluss!

Lesezeit: 5 min

Nazis, Stasi, Mauerfall: Das Deutsche Historische Museum in Berlin hat endlich eine Dauerausstellung. Sie zeigt deutsche Geschichte gewissermaßen im Plusquamperfekt - als vollendete Vergangenheit.

FRANZISKA AUGSTEIN

Die ganze Geschichte der Deutschen seit Christi Zeiten zu zeigen, ist schon deshalb ein schwieriges Unterfangen, weil es während des allergrößten Teils dieser langen Geschichte weder Deutschland gab noch ein deutsches Nationalbewusstsein noch eine deutsche Nation.

Das Museum hat keinen Bühnenbildner beschäftigt. Auch Multimedia-Beschallung gibt es dankenswerterweise nicht. (Foto: Foto: DHM)

Das Deutsche Historische Museum in Berlin versucht in seiner Dauerausstellung denn auch gar nicht erst, rückwirkend Identität zu stiften, sondern nimmt die deutsche Sprache als definierendes Moment und schlägt ihr - großzügig - auch noch ein paar linguistische Vorläufer zu. So kann die Schau mit der Hermannsschlacht im Jahr 9 der Zeitrechnung beginnen, als die Legionen des Varus von dem Cheruskerfürsten Arminius geschlagen wurden; und so irrten sich Klopstock, Kleist und Grabbe rückblickend nicht, als sie diese Schlacht zum Stoff deutscher Dramatik machten.

"Deutsch ist: wo man lateinisch schrieb und Deutsch sprach", sagt Museumsdirektor Hans Ottomeyer, und mit dieser kleinen Differenzierung hat er die Problematik des Deutschtums auf seine Weise auf den Punkt gebracht. Überhaupt wäre jedem Besucher der Ausstellung zu wünschen, dass er von Ottomeyer geführt werde. Denn der Direktor versteht es - besser als der provisorische Katalog und die Schautafeln -, die innere Logik der Schau verständlich zu machen, die äußerlich chronologisch sortiert ist und im wesentlichen den großen Ereignissen der deutschen Geschichte folgt. 8000 Bilder und Objekte umfasst diese Schau, ausgewählt aus dem großartigen Fundus von rund 800 000 Reichtümern. Gezeigt werden sie auf einer Fläche von 8000 Quadratmetern, und Ottomeyers Erfahrung nach kostet "jede Ausstellung" pro Quadratmeter 750 Euro.

Diese Ausstellung ist repräsentativ in dreierlei Sinn: Zum einen soll sie ausdrücklich die politische Geschichte der Deutschen zeigen. Sie entspricht darin einem Geschichtsverständnis, das die Historie vor allem als Abfolge von Herrschern, Kriegen und Staatsverträgen begreift, einem Geschichtsverständnis also, das Schulbuchautoren seit etlichen Jahren zu vermeiden suchen.

Zum zweiten hat man auch die europäischen Nachbarländer einbezogen: England ist ausführlich vertreten, angefangen damit, dass Georg Ludwig, Kurfürst von Hannover, 1714 englischer König wurde. Ludwig XIV und die napoleonische Ära nehmen prominenten Raum ein: Bekannte überlebensgroße Porträts sind zu sehen, dazu ein erbeutetes Schnupftuch Napoleons, worin der deutsche Soldat, ohne auf das Monogramm zu achten, seine "Taschenbouillon" und Schokolade eingeschlagen hatte. Spanien tritt auch in Erscheinung, dem spanischen Bürgerkrieg und den Einsätzen der Legion Condor ist eine große Nische gewidmet. "Die Geschichte Deutschlands ist die Geschichte unserer Nachbarn", sagt Hans Ottomeyer. Sollte es jemals die Vereinigten Staaten von Europa geben, so wird diese Dauerausstellung, was das angeht, nicht neu konzipiert werden müssen.

Zum dritten handelt es sich um eine repräsentative Schau, weil sie vor allem Objekte zeigt, die schon zum Zweck der Überlieferung gemalt oder angefertigt wurden. So erklärt sich die sehr große Zahl von Porträts, Büsten und Gemälden zur Ereignisgeschichte. Die meisten sind Kunstwerke und deshalb für sich sehenswert. Was sie zu erklären vermögen, steht auf einem anderen Blatt. Ottomeyer sagt, die Dinge, die hier gezeigt werden, sprächen für sich, man habe ihnen nur "ihre Authentizität und ihre Aura zurückgeben" müssen.

Zu den Dingen, die eine Aura haben, gehört der Rock, den Kaiser Wilhelm I während eines Attentats trug: Er ist von stockigen Blutflecken bedeckt und wurde seinerzeit eigens nicht gewaschen, damit stets augenfällig bleibe, was der Kaiser durchstehen musste. Aber welche Aura soll damit heutzutage evoziert werden? Hans Ottomeyer stellt diese Frage nicht, weil für ihn die Bedeutung des alten Rockes in dem Stoff selbst plastisch wird. Er nennt das "die Sprache der Dinge". Und es stimmt: Die Dinge sprechen. Sie sind allerdings nicht jedem gegenüber gleichermaßen redselig. Und manchem mögen sie nur sagen: Hier bin ich, noch eine alte Rüstung mehr, angefertigt dann und dann.

Die innere Ordnung der Ausstellung, die Ottomeyer so beeindruckend darstellt, beruht auf der in sich endenden Bedeutung der einzelnen Objekte und darin, dass diese mit oftmals verspieltem Findergeist zu Ensembles kombiniert sind.

Da gibt es zum Beispiel in einem Abschnitt, der dem Mittelalter und dem Aufkommen der Städte gewidmet ist, eine Pestmaske, ein gruselig-fabelhaftes Objekt, von dem Ottomeyer sagt, diese Maske gebe dem ganzen Raum seine Prägung. Das ist eine schöne Interpretation. Die Maske selbst teilt sie allerdings nicht mit. Andernorts hängt ein Gemälde aus der Zeit der Türkenkriege, auf dem unter anderem ein Zelt zu sehen ist. Direkt daneben ist im Saal ein türkisches Zelt aufgebaut, das in einem Kriegslager vor Wien erobert wurde: Darin stehen zeitgenössische Gegenstände, die genau mit denen korrespondieren, die im Inneren des gemalten Zeltes zu sehen sind. Anlässlich der frühen Neuzeit hängen Porträts nebeneinander: Für den kenntnislosen Besucher mögen es "noch mehr Porträts" sein. Tatsächlich machen sie, wie Ottomeyer erklärt, den Übergang vom steifen Kragen zur Krawatte augenfällig. Man kann nur hoffen, dass dies durchaus interessante Detail, das dem Besucher eine Entdeckung ermöglicht, auch in den Beschriftungen erwähnt wird, wenn die Ausstellung eröffnet ist.

Das Museum hat keinen Bühnenbildner beschäftigt. Auch Multimedia-Beschallung gibt es dankenswerterweise nicht. Die 8000 Objekte sollen schließlich aus sich heraus wirken. Auch kann man sich darauf verlassen, nicht hinters Licht geführt zu werden. Die Kuratoren des Museums stehen dafür ein. Ottomeyer erzählt, wie betroffen er war, als er im Imperial War Museum in London in einem Raum, der Auschwitz gewidmet ist, einen Seziertisch für tote Kinder sah. Wegen seines Faibles fürs Detail hat er diesen Tisch dann näher inspiziert: Da entdeckte er, dass es ein englisches Fabrikat und also offenbar nur des Effektes halber in den Auschwitz-Kontext gestellt wordwar. Und er fühlte sich betrogen. Der Museumsdirektor, der ästhetisch denkt, hat für das 20. Jahrhundert nicht viel übrig. Da gebe es in der deutschen Politikgeschichte eigentlich nur zwei wertvolle Arbeiten: Kokoschkas Porträt von Adenauer, das sich nicht im Besitz des Deutschen Historischen Museums (DHM) befindet, und die Darstellung des Bildhauers Hans Wimmer von Theodor Heuss.

So wenig man Herrn Ottomeyer da beipflichten mag, so vergleichsweise hässlich nehmen sich doch die Räumlichkeiten aus, in denen die Geschichte des 20.Jahrhunderts gezeigt wird. Sie befinden sich im Erdgeschoss des Berliner Zeughauses. Dort trägt der Boden, und er ist nicht mit Parkett belegt, weshalb das schwere Gerät - darunter ein V2-Motor und eine Flugabwehrkanone - hier aufgestellt ist. Das 20. Jahrhundert wird gedrängt präsentiert: Man hat Zwischengeschosse eingebaut, die Exkurse in die Kultur der Zeiten erlauben. Anders als im ersten Stock, wo die Fürsten und Geistesfürsten sich tummeln, samt ihren Waffen und ihrem Geschirr, rückt im Erdgeschoss deutsche Alltagskultur in den Vordergrund. Es wird mehr erzählt. Die Objekte, die hier "sprechen", sind nicht zuletzt Konsumobjekte. Fotos, Plakate und Filmausschnitte sind an die Stelle von Büsten, Gemälden und Kupferstichen getreten. Ottomeyer vermisst Farben. In den modernen Zeiten von Krieg und Propaganda dominieren Schwarz, Weiß und Rot.

Während im ersten Geschoss die Prunkräume liegen, befindet sich im Erdgeschoss gleichsam der Maschinenraum der Geschichte. Indes bleibt die gleiche Distanz zu den Ereignissen gewahrt, die auch schon im Bezug auf die vorhergehenden Jahrhunderte waltet.

Die Nazizeit wird angemessen dargestellt: Hitlers Schreibtisch - so lächerlich groß, wie man es sonst nur auf Karikaturen sieht - steht eingezwängt unter Glas. Der Globus der Reichskanzlei weist einen Steckschuss auf, dort, wo Berlin liegt; die Detonation hat ganz "Europa" zum Abplatzen gebracht. Ein großes Kunstwerk des polnischen Bildhauers Mieczyslaw Stobiersky, bestehend aus vielen hundert kleinen Figuren mit individuellen Gesichtern, erinnert an die Shoah. Deutschland steht zu seiner Geschichte. So geht es weiter: Die DDR wird nicht angeprangert und nicht gerechtfertigt, bedeutende ostdeutsche Filme und Bücher kommen vor. Die bundesdeutsche Geschichte wird mit einem Akzent auf der Olympiade von 1972 präsentiert, die im terroristischen Blutbad endete.

In der Dauerausstellung des DHM wird das 20. Jahrhundert als vollendete Vergangenheit gezeigt. Geschichte - ein Fluss, dessen Wasser vorüberziehen. Als eine Institution der "Selbstvergewisserung" bezeichnet Hans Ottomeyer die Schau. Auswärtige Staatschefs werden sich vor den ihren Ländern gewidmeten Objekten gern fotografieren lassen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: