Die Favoriten der Woche:Und dann bricht das Leben durch

Lesezeit: 4 min

Wer in den USA "sophistication" besetzen will, ruft bei ihr an: Christine Baranski in "The Gilded Age". (Foto: Alison Cohen Rosa/HBO)

Eine kultivierte Dame, Schuberts frühe Streichquartette, ein offener Brief, filmische Affenfaxen und Literatur von einem Sänger: Empfehlungen der SZ-Redaktion.

Christine Baranski in der Serie "The Gilded Age"

In der neuen und insgesamt einigermaßen drögen Serie "The Gilded Age" von Julian Fellowes ist sie der große Lichtblick: Christine Baranski spielt die strenge Agnes van Rhijn, Witwe und als Teil des alten New Yorker Geldadels extrem bedacht auf die angemessene Tiefkühltemperatur gegenüber den Neureichen im geschmacklosen Protzpalast gegenüber. Flacher Snobismus ist das bei ihr aber nie, sondern viel unterhaltsamer, ihre Ablehnung hat Geist, eine feine Ironie, hinter der bei aller Arroganz so etwas wie Selbstreflexion aufschimmert. Baranskis Rolle - im Grunde ist sie die Maggie Smith, die Dowager Countess dieses amerikanischen "Downton Abbey" - passt perfekt ins Portfolio der 70-Jährigen, das geprägt ist von kultivierten, gebildeten, wohlhabenden Damen (die Serie "The Good Fight", die "Mamma Mia"-Filme). Wer in den USA "sophistication" besetzen will, ruft bei der Emmy- und Tony-prämierten Schauspielerin an. Völlig zu Recht. Kathleen Hildebrand

Ein offener Brief

Bettine von Arnim, geb. Brentano, hier gemalt von Carl Johann Arnold 1859. (Foto: David Hall/Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum)

Einer der ersten offenen Briefe der deutschen Geschichte war Bettina von Arnims Schrift "Dies Buch gehört dem König" von 1843. Darin machte sie Friedrich Wilhelm IV. auf soziales Elend in Preußen aufmerksam. Sozialreportage und Appell verbanden sich zur zukunftsträchtigen Form der Anklage. Der König war nicht amüsiert, zumal er von Bettinas Töchtern kurz zuvor mit einer wunderbaren Huldigungszeichnung geehrt worden war - und nun das! Diese Episode erzählt eins der "Stationenhefte" des Frankfurter Romantikmuseums, die hier gerühmt werden sollen: Literaturgeschichte in Episoden, Bildern und Zitaten, fein gestaltet. Sie lassen sich auch unabhängig vom Museumsbesuch aufnehmen - die schönste Geschichte der Romantik ("Schachspiel mit dem König", fünf Euro. https://deutsches-romantik-museum.de). Gustav Seibt

Klassik-CD: Schuberts Streichquartette

(Foto: N/A)

"Ganz ruhig und wenig beirrt durch das im Konvikte unvermeidliche Geplauder und Gepolter seiner Kameraden um ihn her, saß er am Schreibtischchen vor dem Notenblatte ... niedergebeugt (er war kurzsichtig), biß in die Feder, trommelte mitunter prüfend mit den Fingern und schrieb leicht und flüssig ohne viele Korrekturen fort." So hat der Mitschüler Albert Stadler 1812 beschrieben, wie der 15-jährige Franz Schubert ins Komponieren vertieft war und wie leicht es ihm von der Hand ging. 15 Streichquartette sind überliefert, von denen die späten drei, das so genannte "Rosamunde"-Quartett, das Quartett "Der Tod und das Mädchen" und das letzte in G-Dur zu den Höhepunkten des ganzen Genres gehören und von jedem Ensemble von Rang selbstverständlich gespielt werden. Diese drei entstanden zwischen 1824 und 1826, die zwölf frühen Quartette zwischen 1810 und 1816, eben in jener Zeit, von der der Augenzeuge Stadler berichtet.

Dass auch diese Stücke von unmittelbarer Einfallsfrische künden, von kühnen Harmoniewechseln und pfeffrigen Rhythmen, vom Mut zum Experimentieren und immer von melodischer Fülle, aber auch schon plötzliche Trübung und sehnsüchtige Schmerzlichkeit kennen, das zeigt die grandiose Gesamtaufnahme aller fünfzehn Schubert-Quartette durch das Quatuor Modigliani (fünf CDs bei Mirare). Die vier Musiker - der strahlende Primarius Amaury Coeytaux, der hochpräsente 2. Geiger Loïc Rio, der ungemein intensive Bratscher Laurent Marfaing und der virtuos stabile Cellist François Kieffer - nehmen auch die frühen Stücke so ernst, wie es einem einzigartigen Junggenie gebührt. Feuriger, sinnlicher, unternehmungslustiger und lebensvoller kann man das kaum spielen. Doch die vier verraten den jungen Schubert ebenso wenig an harmlose Musizierfreude oder munteres Herunterspielen, wie sie ihn nicht mit den Ungeheuerlichkeiten an Intensität, tragischer Dramatik und erschöpfender Virtuosität der drei späten Meisterwerke ungut beschweren. So gestalten die Modiglianis ihre Reise durch diese Quartette zu einer erregenden Abenteuerfahrt bis in die Sphären extremen Ausdruckswillens und das Streben nach der großen symphonischen Form, die Schubert in den späten Quartetten fulminant erreichte. Harald Eggebrecht

Film: George A. Romeros "Monkey Shines"

"Der Affe im Menschen", ein Thriller aus dem Jahr 1988. (Foto: Koch Films)

Faxen von George A. Romero, so etwa könnte man den Titel seines Films "Monkey Shines" von 1988 übersetzen, mit dem er wieder mal versuchte, aus dem Kreislauf seiner erfolgreichen Zombiefilme auszubrechen (deutsch "Der Affe im Menschen", als Mediabook bei Koch Films). Es geht um die sehr innige Beziehung von Allan und Ella (mit Anklängen an Jekyll & Hyde). Peggy Lee singt "That's the story of, that's the glory of love ..." Der junge Allan ist querschnittsgelähmt, Ella soll ihm im Alltag helfend zur Hand gehen, sie ist ein dafür trainiertes Kapuzineräffchen. Allan ist unbeherrscht und entwickelt Mordgefühle - die Ella, putzig aber mit großen Eckzähnen, geschickt exekutiert. Sie sind verschmolzen im Geiste. Ein wilder Wirbel um besessene Forscher und kontrollsüchtige Mütter, und die Frage, ob nicht in jeder Aggressivität ein Rest Unschuld steckt. Fritz Göttler

Poesie: Christian Gerhahers "Lyrisches Tagebuch"

Christian Gerhaher, bedeutendster Liedsänger unserer Zeit, hat ein Buch geschrieben. (Foto: C.H. Beck)

An einem Tag im Jahre 2014 kaufte sich Christian Gerhaher am Frankfurter Hauptbahnhof eine Bahncard. Zu diesem Zeitpunkt war er 44 Jahre alt. Allerdings hatte er am Abend zuvor an der Frankfurter Oper die Titelpartie in Mozarts "Don Giovanni" gesungen, wozu er erst einmal überredet werden musste, da für ihn mit dieser Rolle einiges verbunden ist, was man an ihm, Gerhaher, vergeblich suchen würde. Doch mit Christof Loy als Regisseur würde das schon klappen, Gerhaher dachte an einen alten Lebemann im Rollstuhl, so weit ging Loy nicht, setzte ihm aber eine graue Perücke mit fettigen Haaren auf. Und Gerhaher ging es, wie es ihm oft geht, wenn er Rollen auf der Opernbühne verkörpert: Die Rolle ergriff, obwohl er auf der Bühne die vollkommene Identifikation mit der Figur ablehnt und sich stets einen Rest kritische Draufsicht bewahrt, sein Dasein. So sehr, dass die Frau am Frankfurter Bahnschalter ihn fragte, ob er schon über 60 sei, denn dann sei die Bahncard erheblich billiger. Und Gerhaher fragte sich, wenn dies zuträfe, wo dann all die Jahre hingekommen seien, die er offenbar gelebt hätte, ohne sie gelebt zu haben.

Christian Gerhaher, bedeutendster Liedsänger unserer Zeit und, in sorgsam ausgewählten Dosen, immer wieder mit höchst beeindruckenden Leistungen auf Opernbühnen zu erleben, hat ein Buch geschrieben. Selbst, was unter Musikern kaum selbstverständlich ist. Und auch wenn sein "Lyrisches Tagebuch" (C. H. Beck-Verlag) solche Erlebnisse wie das obige schildert, darf man nicht auf die Idee kommen, dieses Tagebuch sei nur eine Sammlung lustiger Anekdoten aus einem Sängerleben und dem dazugehörigen Betrieb. Nein, dieses Buch ist lebensklug, persönlich und philosophisch zugleich, und Gerhaher bohrt sich immer wieder, durchaus idiosynkratisch, in die Tiefe der Werke, die er kennt wie kaum ein anderer. Werke von Mozart, Schumann, Schubert bis zu denen von lebenden Komponisten wie Wolfgang Rihm und Heinz Holliger. Das ist mitunter anstrengend, aber stets erhellend, und immer dann, wenn die Analysen von Text und Musik der untersuchten Werke einem zu sehr zu Kopf zu steigen drohen, bricht - oft sehr lustig - das Leben durch. Und Gerhahers niederbayerische Heimat. Egbert Tholl

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: