Deutschland nach dem Krieg:Daheim

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Anat Feinberg erzählt, was jüdische Theaterkünstler erlebten, die ab 1945 nach Deutschland zurückkehrten, um beim Wiederaufbau des Landes zu helfen.

Von Peter Laudenbach

Im September 1945, wenige Monate nach Kriegsende, erscheint in der deutschsprachigen New Yorker Zeitschrift Aufbau ein emphatischer Aufruf. Der Regisseur Gustav von Wangenheim, eben erst aus der Emigration zurückgekehrt und im zerstörten Berlin zum Intendanten des Deutschen Theaters berufen, fordert emigrierte Schauspieler und Regisseure zur Mitarbeit an einem neuen, humanistischen Theater auf: "Ihr, die Ihr fern der Heimat lebt, seid Ihr bereit, trotz aller Schwierigkeiten beim Wiederaufbau mitzuhelfen? Dann kommt! Alles, was wir erträumten, können wir jetzt schaffen, auch aus dem Nichts." In dem Aufbruchs-Pathos klingt die große Hoffnung auf einen Neubeginn an. Dazu gehört die unbedingte Überzeugung des Berliner Intendanten, dass gerade dem Theater beim "Wiederaufbau" eines besseren, demokratischen Deutschlands eine wichtige Rolle zukomme. Viele der vor den Nationalsozialisten ins Exil geflohenen Theaterkünstler teilten diesen kämpferischen Optimismus. Der nach Zürich emigrierte Regisseur Leonard Steckel etwa war überzeugt, angesichts des nicht nur äußerlich zerstörten, politisch wie moralisch restlos diskreditierten Landes müsse die Bühnenkunst zur "seelischen Aufrichtung des Volkes beitragen". Das Theater schien für einen Moment zu einem der zentralen Orte gesellschaftlicher Selbstverständigung werden zu können.

Anat Feinberg, Theaterwissenschaftlerin und Honorarprofessorin für Jüdische Literatur in Heidelberg, hat in einer sorgfältig recherchierten Studie die Wege jüdischer Theaterkünstler nachgezeichnet, die nach 1945 nach Deutschland, Ost wie West, zurückgekehrt sind. Neben einer breit angelegten Übersicht arbeitet sie exemplarisch die Biografien von vier Schauspielern heraus, bekannte und weniger bekannte - vier von geschätzt etwa 4000 nach 1933 emigrierten Theaterkünstlern. Erstaunlich viele von ihnen wollten nach 1945 in das Land des Holocausts zurückkehren. Die Liebe zu ihrem Beruf und die Überzeugung, zum notwendigen Neubeginn des vom NS-Regime für Propaganda- und Ablenkungszwecke missbrauchten Theaters beitragen zu müssen, schien größer als der Schrecken angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen. Es bedeutete auch die Rückkehr in die deutsche Sprache und den Beruf, den viele von ihnen im Exil nicht oder nur unbezahlt in selbst organisierten Exil-Ensembles ausüben konnten.

So tiefenscharf Feinberg den nicht allzu reflexionsinteressierten Theaterbetrieb Nachkriegsdeutschlands skizziert, so sprechend sind die schlaglichtartigen Skizzen des Exils, die sie zeichnet. Curt Bois etwa, ein Star der Weimarer Republik, hat in New York nicht einmal das nötige Geld für die Schiffspassage zurück nach Europa. Weil sie in der fremden Sprache von ihrem Beruf nicht leben kann, betreibt die Frankfurter Schauspielerin Mathilde Einzig in Palästina eine Hühnerfarm, die Schauspielerin Emmy Sturm hält sich in Ecuador mit einem Restaurant über Wasser. Etwa drei Viertel der nach New York emigrierten Schauspieler müssen zumindest vorläufig den Beruf wechseln. Sie tragen für den Rest ihres Lebens an dieser Erfahrung. Selbst Fritz Kortner, der in Hollywood Filme drehen konnte und das Exil materiell deutlich besser als viele seiner Leidensgenossen erlebt hat, beobachtet an sich seit der Emigration "eine irre Lebensangst".

Ohne Kortner, den prominentesten dieser Rückkehrer, wäre das westdeutsche Theater nicht nur der Nachkriegsjahrzehnte ein anderes gewesen. Der Schauspieler und Regisseur, schon in der Weimarer Republik ein Star des expressionistisch-modernen Theaters, wurde zum Antipoden des apolitischen Klassizismus eines Gustaf Gründgens. Kortners Diagnose des vom "Reichskanzleistil" des Nationalsozialismus verwüsteten Theaters ist vernichtend. Er konstatiert nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil 1947 angesichts der "herrschenden Maßstablosigkeit" ein Theater, das "nicht an Geist und Herz appelliert, sondern beide betäubt". Gegen dieses Theater der Restauration und selbstgefälligen Denkfaulheit setzt er seine insistierenden, die Klassiker nicht feiernden, sondern aufrauenden, befragenden Inszenierungen.

Kortner erhielt nie eine Intendanz, aber er wurde zum wichtigsten Bezugspunkt der damals jungen Regisseure, Schauspieler und Dramaturgen, die das Theater der Bundesrepublik prägen sollten. Peter Stein, Jürgen Flimm, aber auch der konservative August Everding waren seine Regieassistenten, der junge Ivan Nagel arbeitete an den Münchner Kammerspielen als sein Dramaturg - sie alle haben von ihm gelernt.

Feinbergs Studie rückt auch die weniger prominenten Remigranten in den Blick. Was sie im Nachkriegsdeutschland erleben, ist nicht frei von Bitterkeit. "Kein Triumphbogen erwartet einen, kein Empfangskomitee, kein Mitleid, kein Mitgefühl", notiert der Liedtexter und Drehbuchautor Max Colpet - deutsche Willkommenskultur der Nachkriegszeit. Als Lilli Palmer, ein Star jener Jahre, 1954 für Dreharbeiten in München ist, konstatiert sie, dass niemand sie fragte, wie es sich anfühlt, wieder in Deutschland zu sein: "Anscheinend wollte es niemand wissen." Elisabeth Bergner, ein Star des Vorkriegstheaters, bricht 1949 eine Tournee vorzeitig ab und verlässt Deutschland wieder. Ihre Beobachtung: "Die Deutschen zeigen keine Reue und sind der Meinung, dass sie einfach Pech hatten. Der Antisemitismus ist geblieben." Friedrich Hollaender, ein bekannter Kabarettist und Lieddichter, wollte nach seiner Rückkehr 1952 in München bleiben. Nach einem Besuch in Dachau weiß er, dass er noch nicht in Deutschland und mit den Deutschen leben kann: "Vor dieser schweigenden Hölle, diesen stummen Inschriften und Verbrennungsöfen, brach aller Expeditionsgeist zusammen." Die Schauspielerin Therese Giehse sagt nur lakonisch "Daheim", als ihr und dem Bühnenbildner Teo Otto in den Fünfziger Jahren auf dem Münchner Oktoberfest Betrunkene entgegenkommen, die Nazi-Lieder grölen. Der Schauspieler Eric Schildkraut besucht 1946 nach seiner Ankunft in Hamburg das frühere Konzentrationslager Bergen-Belsen und begegnet traumatisierten KZ-Überlebenden, die man nach der Befreiung in Wohnungen der Wachmannschaften einquartiert hatte.

"In einem nur zwei Kilometer entfernten Gasthof wurde ihm vom Wirt versichert, man habe von alldem nichts gewusst", hält Feinberg lakonisch fest. Die Genauigkeit ihrer Recherche, die Fülle des Materials und die Nüchternheit, mit der sie es ausbreitet, machen ihr Buch zu einer beklemmenden, auch beschämenden Lektüre.

Die Rückkehrer sind für die in Deutschland gebliebenen Theaterleute vor allem lästige Konkurrenten - und sie lassen es sie spüren. Dem Schauspieler Eric Schildkraut malen anonyme Theatermitarbeiter ein Hakenkreuz auf den Garderobenspiegel. Anschließend wird ihm unterstellt, er selbst habe den Spiegel beschmiert. Von einem Regisseur muss sich Schildkraut im Hamburg der Nachkriegsjahre anhören, für eine bestimmte Rolle wolle er "keinen Juden" besetzen. "Für seine Kollegen blieb Schildkraut der Außenseiter, der Wettbewerber, der Jude, der schon durch seine Präsenz an das erinnerte, was beharrlich verdrängt wurde", analysiert Feinberg - eine Erfahrung, die viele der Rückkehrer machen. Die in Deutschland gebliebenen Theaterkünstler, die sich im Nationalsozialismus weitgehend opportunistisch verhalten hatten, waren im verdrängungsfreudigen Nachkriegsdeutschland nicht selbstkritischer oder auch nur empathiefähiger als der Großteil ihrer Landsleute.

Anat Feinberg: Wieder im Rampenlicht. Jüdische Rückkehrer in deutschen Theatern nach 1945. Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 336 Seiten, 29 Euro. (Foto: N/A)

Der Verpanzerung gegen Mitgefühl mit den Geflüchteten korrespondiert der Hang zum Selbstmitleid. Der Schauspieler Paul Walter Jakob bekommt nach der Rückkehr aus der Emigration in Argentinien von einem Berliner Intendanten erst ungefragt das "Du" aufgedrängt und kann sich dann anhören, dass es "hier ... nicht sehr schön war, viele Jahre hindurch". Die Mitläufer sehen sich am liebsten als Hauptopfer. Die naive Hoffnung, dass Theaterkünstler moralisch besonders sensibel, politisch halbwegs wach und menschlich im Zweifel eher anständig seien, vergeht einem bei der Lektüre von Feinbergs Buch gründlich.

Für ihre Recherchen konnte Feinberg auf Standardwerke wie Günther Rühles Theatergeschichte, Arbeiten des Berliner Theaterhistorikers Klaus Völker oder Memoiren, etwa Fritz Kortners oder des Produzenten der Uraufführung der "Dreigroschenoper", Ernst Josef Aufricht, zurückgreifen. Aber vor allem hat sie umfangreiche Quellenstudien betrieben, ausgiebig in Archiven recherchiert, Nachlässe gesichtet und mit Zeitzeugen, etwa den Kindern von Remigranten gesprochen. Was Feinbergs Studie leistet, ist nicht weniger als Erinnerungsarbeit und der Versuch, die vor den Nationalsozialisten geflohenen Künstler vor dem Vergessen zu bewahren.

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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