Deutscher Buchpreis:Wer sind wir?

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Die Jury zum Deutschen Buchpreis hat ihre Shortlist bekanntgegeben. Alle sechs Romane stellten die Frage, so die Jury-Vorsitzende Katja Gasser, "wer wir sind und wer wir sein wollen". Sie umkreisen damit die Krisen der Gegenwart.

Von Lothar Müller

Die Jury zum Deutschen Buchpreis 2017 hat ihre Shortlist bekanntgegeben. Alle sechs Romane stellten die Frage, so die Jury- Vorsitzende Katja Gasser, "wer wir sind und wer wir sein wollen". In diese leere erste Person Plural, in ihr Sein und ihr Wollen passt viel hinein, individuelle Sehnsüchte und politische Projekte, Japan und Brüssel, historische Katastrophenlandschaften und aktuelle Fluchtbewegungen. Der große Gewinner ist Suhrkamp mit drei Titeln.

Gerhard Falkners Roman "Romeo oder Julia" (Berlin Verlag) begleitet seinen Helden durch eine Literaturbetriebssatire und lässt ihn auf mehr als eine Julia los. "Das Floß der Medusa" (Zsolnay) des Österreichers Franzobel verwandelt den historischen Schiffbruch ins opulent ausgemalte Menetekel der Bedrohung aller Zivilisation durch die animalische Natur des Menschen (SZ vom 26. April). Thomas Lehrs Roman "Schlafende Sonne" (Hanser) verknüpft die nüchternen Ekstasen der Naturwissenschaft mit den Ekstasen der Kunst und entführt den Zeithistorikern die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts (SZ vom 23. August ). Robert Menasse balanciert in "Die Hauptstadt" (Suhrkamp) auf einem Hochseil, das zwischen Krimi und Gesellschaftsroman gespannt ist, blickt ironisch auf die Bürokratie in Brüssel hinab und lässt sie über die Auschwitz-Klinge springen (SZ vom 9. September). Marion Poschmann schaut in "Die Kieferninseln" (Suhrkamp) heiter-gelassen zu, wie ihr haltloser Held in ein Japan von so vollendeter Künstlichkeit reist, dass man ihn dort getrost dem Naturschönen überlassen kann. Und die einzige Debütantin, die das aber nur als Erzählerin ist, die Theaterautorin Sasha Marianna Salzmann, zersprengt in "Außer sich" (Suhrkamp) die Form des Familienromans, um ihre aus der zerfallenden Sowjetunion ausgewanderten Figuren zwischen Moskau, Berlin, Istanbul auf die Suche nach sich selbst zu schicken (SZ vom 11. September).

Nur ein Frühjahrsbuch, Franzobels "Floß der Medusa", hat es auf die Shortlist geschafft. Die Longlist umfasste 20 Titel, wie immer gingen viele leer aus, darunter Herr Lehmann aus Sven Regeners "Wiener Straße" (Galiani) mit seinen Freunden aus dem untergegangenen Westberlin. Auch ein Favorit blieb auf der Strecke, Ingo Schulzes "Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst" (S. Fischer). Das ist schade. Peter Holtz, der im DDR-Sozialismus aufwächst und nach 1989/90 im Kapitalismus sein Glück macht, ist der Held eines unheimlichen Schelmenromans (SZ vom 9. September), der gut zu Brüsseler Beamten und verlorenen Moskauer Kindern gepasst hätte. Der Gewinner wird am 9. Oktober zum Auftakt der Buchmesse bekanntgegeben.

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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