Deutscher Alltag:Meinung blubbert

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Die Pro-Guttenbergs werfen einem Hetzjagd vor, die Wutdoktoren glauben seit Dienstag, sie könnten mit Hilfe des Internets die Welt regieren. Und ständig muss man zu allem eine Meinung haben.

Kurt Kister

Immer soll man zu allem eine Meinung haben. Der Friseur fragt, wie es denn nun weitergehe da in Libyen. Der Mann von der Autowerkstatt will wissen, warum man eigentlich nicht mal schreibe, dass Shell oder Aral verstaatlicht gehören. Und natürlich lauern einem dauernd die Pro-Guttenbergs und die Anti-Guttenbergs auf.

Die Doktoren dieses Landes haben durch die Causa Guttenberg ein viel engeres Verhältnis zu ihrer eigenen Dissertation gewonnen. Überhaupt haben derzeit alle zu allem eine Meinung - und das wird bald noch mehr. (Foto: dpa)

Die einen werfen einem Hetzjagd, Missgunst und Hass vor. Bei der Lektüre ihrer Briefe hat man den Eindruck, mancher Briefschreiber wäre einer Kreuzigung des journalistischen Neidhammels nicht abgeneigt.

Die anderen wiederum, allen voran die Wutdoktoren, die seit Guttenberg ein viel engeres Verhältnis zu ihrer eigenen Dissertation gewonnen haben, feixen über den Rücktritt des Barons und glauben seit Dienstag, sie könnten mit Hilfe des Internets die Welt regieren. So viel Meinung jedenfalls, wie gegenwärtig gefragt ist, kann man gar nicht haben.

Oder vielleicht doch? Man stellt sich das ungefähr so vor wie mit der Braunkohle: Unter der Oberfläche liegen große Mengen Meinung. Meinung allerdings ist, anders als Braunkohle, vom Aggregatszustand her eher flüssig. Sie blubbert, und immer wieder bildet sie gelblich-grüne Blasen, die mit einem "Plopp" platzen und manchmal wie im Yellowstone-Park nach Schwefelwasserstoff riechen.

Andere Formen der Meinung sind zähflüssig als wären sie ein während des Flusses sich stark abkühlender Lavastrom. Gysi-Meinung oder Lauterbach-Meinung und natürlich Alexander-Dobrindt-Meinung erstarrt noch während sie die jeweiligen Meinungsproduzenten verlässt.

Es gibt Hinweise darauf, dass noch in diesem Jahr der Meinungstagebau professionalisiert werden wird. Weil es von Herbst an praktisch jeden Abend mindestens eine Talkshow in ARD und ZDF geben wird, wollen sich in der ARD die Zuständigen zusammenschließen und eine Talk-Show-Gäste-Datenbank einrichten. (Nein, das ist nicht erfunden.)

Darin soll festgehalten werden, wer wann mit wem zu welchem Thema spricht. Merkt der Redakteur zum Beispiel, dass der Gassenphilosoph Precht schon wieder mit dem Stör-Schweizer Köppel und dem Historiker als Hysteriker Baring verkuppelt wird, leuchtet ein rotes Licht auf dem Schreibtisch des ARD-Meinungsinspizienten (das ist jetzt erfunden).

Dann wird neu gewürfelt. Angeblich ist bereits ein Update der Datenbank in Entwicklung. Jedem Moderator werden dann 15 persönliche Gäste zugeordnet, die er (oder sie) wie Fußballbilder auch mit einem anderen Moderator tauschen darf. Jauch soll immer den ersten Zugriff haben, Plasberg beleidigt sein und Maischberger nur Gäste über 70 kriegen. Ist aber noch geheim.

© SZ vom 05.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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