Deutscher Alltag:Das bisschen surfen

Lesezeit: 2 min

Was man im Internet nicht alles findet: Ein Auktionshaus verkauft einen Druck aus Andy Warhols Saint-Apollonia-Serie, der Schutzpatronin der Zahnärzte. Die bedürfen dringend himmlischen Beistands - der Zweitporsche gerät in Gefahr.

Kurt Kister

Gewiss, das Internet ist schuld daran, dass einem jeder Tropf eine Mail schreiben kann. Wenn man nicht antwortet, empört sich der Tropf. Antwortet man dem Tropf so, wie es ihm gebührt, empört er sich auch, weil er das Gefühl hat, man halte ihn für einen Tropf.

Wäre man Zahnarzt, würde man schnell sieben Privatpatienten bebohren und Apollonia-Bilder kaufen. Drei für daheim, eine könnte man in der Praxis aufhängen. Würde sich saugut machen, weil selbst der tumbe Kassenpatient erkennen könnte, dass die Frau auf dem Bild was mit Dentisterei zu tun hat. Schließlich hält sie eine Zange mit einem Zahn. (Foto: dpa)

Aber das Internet ist auch wunderbar. Man sitzt zum Beispiel im Büro und brütet darüber, warum viele Chefs glauben, im Mikromanagement läge das Geheimnis des erfolgreichen Chefseins. Da beschwert sich dann ein Großchef per E-Mail über Formulierungen in einem Rundschreiben, und man möchte am liebsten auf jener Piazza in Lucca sitzen, die geformt ist wie ein römisches Amphitheater, und nie wieder zurückkommen, jedenfalls nicht ins Büro. Man kann aber in so einem Moment auch surfen gehen im Netz.

Was man da nicht alles findet! Ein Auktionshaus zum Beispiel verkauft einen Siebdruck aus Andy Warhols Saint-Apollonia-Serie. Die heilige Apollonia ist die Schutzpatronin der Zahnärzte, die angesichts ihres bedrohten Berufsstandes - der Zweitporsche gerät in Gefahr - dringend himmlischen Beistands bedürfen. Und weil man gerade dabei ist, gibt man dann noch "Warhol" und "Apollonia" als Suchbegriff ein und, schwupps, erfährt man, dass ein anderer Händler alle vier Apollonia-Siebdrucke für schlappe 17.900 Euro anbietet. Immerhin hat Warhol den Druck nach einem Gemälde von Piero della Francesca gefertigt. Das ist abendländische Leitkultur made in New York City.

Wäre man Zahnarzt, würde man schnell sieben Privatpatienten bebohren und dann die Apollonia-Serie kaufen. Drei für daheim, eine könnte man in der Praxis aufhängen. Würde sich saugut machen, weil selbst der tumbe Kassenpatient erkennen könnte, dass die Frau auf dem Bild was mit Dentisterei zu tun hat. Schließlich hält sie eine Zange mit einem Zahn.

Von einem Auktionshaus zum nächsten ist es nicht weit im Netz. Es geht von Warhol zu Karl May. Man blättert online im Katalog eines Berliner Auktionators, bei dem es jede Menge Originalillustrationen aus den frühen Karl-May-Büchern gibt. Da werden so Pretiosen wie Kara ben Nemsi mit Revolvern von Claus Bergen angeboten oder auch das schöne Blatt Old Shatterhand am Grabe Winnetous, 1908 vom nämlichen Illustrator. Wird auf 250 Euro geschätzt. Das wären in richtigem Geld 500 Mark, und für 500 Mark hätte man 1970 praktisch alle grünen Karl-May-Bände kaufen können, die man damals gern gehabt hätte. Heute hätte man zwar das nötige Geld, will aber die Karl-May-Bücher nicht mehr haben. Stattdessen versucht man im Internet, den Tröpfen zu entkommen.

© SZ vom 16.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: