Deutsche Literatur:Um Mitternacht

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Helmut Böttiger hat eine ebenso diskrete wie erhellende Studie über die Liebesgeschichte zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann geschrieben: sie zeigt im Durchgang durch das Werk beider Autoren die Literatur als Echoraum des Lebens.

Von Christoph Bartmann

Im Wiener Frühjahr des Jahres 1948 sind sich Ingeborg Bachmann und Paul Celan begegnet. Ihre Liebesgeschichte ist nicht bloß Literaturgeschichte geworden, sie hat sich in eine Legende verwandelt, ähnlich wie die Beziehung zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger. Die Veröffentlichung des Briefwechsels ("Herzzeit", 2008) hat die Neugier auf eine solidere Textbasis gestellt. Seitdem sind neue Bachmann-Biografien erschienen, zuletzt gab es einen Bachmann-Celan-Film ("Die Geträumten"), und ohne Übertreibung könnte man sich die Dichter auch in einer TV-Miniserie vorstellen.

Während andere Autoren und Werke der Gruppe-47-Generation höchstens noch versunkenes Kulturgut darstellen, scheinen Bachmann und Celan lebendiger denn je. Oder müsste man sagen: Bachmann plus N. N.? Zum steten Interesse trägt die effektvoll verschleppte Edition der Bachmann-Briefe bei. Wenn in einigen Jahren ihr Briefwechsel mit Max Frisch vorliegt, wird auch das wieder Anlass zu weitreichenden Betrachtungen geben.

Helmut Böttiger hat nun eine erfreulich sachliche, textnahe Untersuchung der Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan vorgelegt. Er glaubt nicht, wie manche Vorgänger, man dürfe über Bachmann und Celan lediglich als literarisch-intellektuelle Phänomene sprechen, da alles andere irrelevant und indiskret sei. Er rückt seinen Figuren aber auch nicht näher auf den Pelz als nötig. Als Kenner der deutschen Nachkriegsliteratur und vor allem der Gruppe 47 interessiert ihn vor allem der literatur- und zeitgeschichtliche Rahmen der Bachmann-Celan-Konstellation. Dazu gehört ein genauer Blick auf die berühmt-berüchtigte Tagung der Gruppe im Frühjahr 1952 in Niendorf. Zu ihr hatte Hans Werner Richter Bachmann und, auf ihre Vermittlung, auch Celan eingeladen, zwei junge lyrische Talente mit Wiener Hintergrund.

Fast vergessen ist, dass Bachmann bei der Preisverleihung leer ausging, während Celan mit der "Todesfuge" auf dem dritten Platz landete (den Preis der Gruppe 47 gewann damals Ilse Aichinger). In Erinnerung ist Niendorf wegen eines Zwischenfalls, der damals nicht nach außen drang und den erst Jahrzehnte später Walter Jens publik machte. Hans Werner Richter habe auf Celans Lesung mit dem Satz reagiert: "Der liest ja wie Goebbels." War die Gruppe 47, in der deutsche Männer mit Weltkriegserfahrung die Mehrheit bildeten, ein Klub von Antisemiten?

Aus Paris schreibt Celan "Lies Ingeborg, lies" und legt sein Gedicht "Weiß und Leicht" bei

Richter hat sich später an die Situation nach seinem Fauxpas erinnert: "Paul Celan verlangte Rechenschaft und versuchte mich in die Position eines ehemaligen Nationalsozialisten zu drängen. Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann weinten und baten mich unter wahren Tränenströmen immer wieder, mich zu entschuldigen, was ich dann schließlich tat. Paul Celan hat es mir nie vergessen." Vielleicht war Niendorf die Urszene all dessen, was Böttiger rückblickend als "das Unmögliche" bezeichnet. Das Unmögliche nicht nur einer dauerhaften, vielleicht sogar glücklichen Verbindung zwischen Bachmann und Celan, sondern auch das Unmögliche einer glückenden Ankunft Celans in der westdeutschen Nachkriegswirklichkeit. Bachmanns Tränen in Niendorf und andernorts scheinen dann der Ausdruck einer Verzweiflung zu sein, die über die individuelle Liebesgeschichte und ihr Scheitern hinausreicht. 1948 in Wien verliebt sie sich fast identifikatorisch in den staatenlosen jüdischen Dichter aus Bukarest, der seine Eltern im Holocaust verloren hat - als könne sie sich auf diese Weise von der eigenen Kärntner Familienbiografie mit NS-Verbindungen lösen. Sie verliebt sich auch in ein Dichtungsideal des hohen Vorkriegstons, das im Kahlschlag-Deutschland fehl am Platz wirkt und das Hans Werner Richter dann in Niendorf ohne einen Anflug von Sensibilität mit Goebbels assoziiert. Bachmann kann Celan nicht vor Richter schützen, Richters Entschuldigung macht nichts gut, und die Wunde, die Celan in Niendorf zugefügt wurde, wird nicht mehr heilen. Interessanterweise haben Bachmann und Celan in diesen Zeiten großer Lebens- und Liebeslabilität ihre größten literarischen Erfolge gefeiert. Man entdeckt, bei Bachmann und bei Celan, wohl eine Neigung zu Unglück und Missgeschick, ebenso aber den Drang und das Talent, allen Widrigkeiten zum Trotz berühmt zu werden. Wer wie Bachmann mit 28 Jahren auf dem Spiegel-Titel war, mag den Ruhm beinahe als Selbstverständlichkeit betrachtet haben. Trotz des Ruhms bleibt Bachmanns Leben ungesichert, manchmal wohl auch ökonomisch prekär. Celan wäre seinerseits ohne seine Frau Gisèle Lestrange und ohne einen Lektorenposten an der École Normale Supérieure - der Bachmann in einem späten Brief als der Gipfel aller Kränkungen erscheint - kaum über die Runden gekommen.

Die eigentliche Liebesaffäre zwischen Bachmann und Celan ist kurz gewesen. Sie umfasst die Jahre 1948/1949, ehe Celan nach Paris zieht, wo er bald Gisèle Lestrange heiraten wird - was ihn, wie Böttiger berichtet, von außerehelichen Beziehungen selten abgehalten hat. Im Herbst 1957 kommt es, bei Gelegenheit einer Wuppertaler Tagung über "Literaturkritik - kritisch betrachtet", zu einer stürmischen Wiederbegegnung. Aus Paris schreibt Celan "Lies, Ingeborg, lies" und legt sein Gedicht "Weiß und Leicht" bei, drei Tage später schickt er ihr das Gedicht "Köln, Am Hof", das mit den Zeilen beginnt: "Herzzeit, es stehn/die Geträumten für/die Mitternachtsziffer." Und weiter: "Verbannt und Verloren/waren daheim."

Alles an diesen Zeilen, das zeigt Böttiger im Detail, ist sprechend, weist über die Biografien hinaus und zugleich tief auf sie zurück. Was Bachmann und Celan in der gelebten Realität versäumt haben mögen, holen sie im Feld der literarischen Mythologie nach. Verbannt und verloren, sind sie daheim nur in einer lyrischen Zwiesprache, die, so intim sie auch ist, auf eine Nachwelt gerichtet scheint. Man steht gebannt vor der poetischen Inbrunst, mit der sich die beiden Liebenden über Jahre bearbeiten, abgewandt von allen übrigen Zeit- und Weltfragen und wild entschlossen, nicht voneinander zu lassen - auch wenn sie nicht zueinanderfinden können.

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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