Deutsche Gegenwartsliteratur:Im Panzer der Psyche der Presse

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Sascha Reh erzählt in seinem neuen Roman "Aurora" von der Enge im Inneren eines jungen Journalisten, der vergeblich versucht, den Imperativen der modernen Medienwelt gerecht zu werden.

Von Helmut Böttiger

Auch für Ole war Journalist einmal ein Traumberuf. Und wenn er am Beginn des Romans die Fähre nach Bornholm nimmt, die vermeintlich mediterran entrückte dänische Insel, scheint die Form auch noch einigermaßen gewahrt zu sein. Aber ziemlich schnell ahnt man, dass auch aus ihm schon eines dieser Medienwracks geworden ist: zynisch, desillusioniert und nicht mehr so windschnittig-flott, wie es die jüngeren Hierarchen in seinem Dagbladet verlangen.

Dieser Ole ist in seiner kruden Medienexistenz ein durchaus repräsentativer Gegenwartstypus. Er wirkt zwar ziemlich gebrochen, aber doch einigermaßen wach und in der Lage, sich durchzuschlagen. Bornholm ist so etwas wie seine letzte Chance. Seine Kolumne, die er bisher hatte und die ein eindeutiger Karrierenachweis war, wurde ihm entzogen. Jetzt soll er auf der völlig eingeschneiten und vom Winter stillgelegten Insel irgendeine Story an Land ziehen. Und als er in die zentrale Rettungsstelle kommt, scheint sich ihm eine Chance zu bieten. Er findet sich sofort in einem Schützenpanzer mit einem jungen Grenadier namens Eric wieder - eine klaustrophobische Situation, die auf der einen Seite seinem Inneren entspricht, auf der anderen aber auch einen gewissen Thrill hat. Es geht um Unterstützung für eine Hochschwangere in einem entlegenen Gehöft, und der Panzer ist das einzig mögliche Verkehrsmittel, denn der Schnee steht auf allen Wegen mannshoch.

Man merkt schnell, dass "Aurora", der Roman mit diesem poetisch-geheimnisvollen Titel, eine Art Engführung ist, dass Spannung aufgebaut werden soll. Etwas stimmt nicht mit dem Panzerfahrer Eric, er hat sich unter dubiosen Umständen von seiner Truppe entfernt, und als er dann als Erstes die Hebamme Tamara aufliest, wird klar, dass es in dem dunklen, stählernen Panzer um eine psychische Enge geht, um eine klassische Encounter-Situation. Ole ahnt irgendeine verschwiegene Verbindung zwischen Eric und Tamara, und die ominöse Schwangere hat auch etwas damit zu tun.

Der Roman beginnt also ziemlich vielversprechend. Ole und Tamara müssen in dem nach außen hin fast blickdicht abgeschlossenen Panzer irgendwie miteinander kommunizieren, mit dem naiven und doch auch undurchsichtigen Panzerfahrer vorn sind sie nur über Kopfhörer verbunden. Die Beziehung, die sich zwangsläufig zwischen beiden entwickelt, ist widersprüchlich und voller Aggressionen, mit plötzlichen, ungeahnten Volten - angesichts der Bedrohung von außen verdichten sich die Bedrohungen im Inneren.

Auffällig sind in diesem Buch aber vor allem die sprachlichen Schwankungen. Die Farben des Schnees, die undurchdringliche Landschaft, die Mischung von Natur und hochtechnisierter Zivilisation führen gelegentlich zu überraschenden Bildern. Aber oft legt der Autor seinen Figuren einen schalen Firnis von Erklärungen über ihre Sätze. Die von ihm gewählte Form der erlebten Rede wirkt gelegentlich ungelenk. So versetzen sich Ole und Tamara einmal in den Panzerfahrer, der gerade in höchster Not durch den Schnee stapft, es ist eine aufgeladene, gefährliche Situation, wie zwischen Leben und Tod, in einem albtraumhaften Grenzbereich. Und dann heißt es: "Sich unter solchen Bedingungen voranzukämpfen nötigt dem Körper mit jedem Schritt große Energiereserven ab, und die Unterkühlung, gegen die er zusätzlich anzuarbeiten hat, tut noch ihr Übriges." Was immer der Autor damit erreichen wollte, es ist ihm nicht gelungen.

Aber aus Dialogen, aus kleinen Details schlägt er auch Funken. Oles verzweifelte Rückzugsgefechte im Kampf zwischen Mann und Frau haben oft einen grotesken Irrwitz, die Assoziationen und Abschweifungen des Journalisten treffen auf perfide Weise etwas Zeitgenössisches. Wenn er in der Kurzhaarfrisur einer ihm unangenehmen Szenekünstlerin "einen Christopher-Reeve-haften Zug" sieht, hat das etwas Schillerndes, denn das Schicksal dieses Schauspielers ist Ole sehr nahegegangen: "Umso unangemessener, je respektloser kam es ihm nun vor, wie Laerke sich mit seinem früheren virilen Aussehen schmückte."

Der Leser wird in eine merkwürdige Parallelaktion hineingezogen: so, wie Ole über die Möglichkeiten seiner Story reflektiert, etwas Aufsehenerregendes mit Panzer, Hebamme und Winter, ist er zugleich das Spiegelbild des Romanautors, der dieselben Effekte nutzen möchte. Aber ob dieser Roman "Das Wesen der Wahrheit", wie es Ole recht pathetisch auf den letzten Seiten als Überschrift für seinen Artikel erwägt und verwirft, am Ende besser ausgeleuchtet hat? "Aurora" ist ein Polarlicht, und in Dänemark sieht man es äußerst selten.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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