Am Ende können sowohl Heinrich Heine als auch Potsdam froh sein, dass der Dichter die aktuellen Diskussionen um das Baugeschehen in der Stadt noch gar nicht kannte. Denn Heine fand schon das, was heute als das unzweifelhaft Beste hier gilt, eher fragwürdig: "Vorgestern war ich in Sanssouci, wo alles glüht und blüht", schrieb er 1829 an eine Freundin und fügte hinzu: "Aber wie! Du heiliger Gott! Das ist alles nur gewärmter, grünangestrichener Winter, und auf den Terrassen stehen Fichtenstämmchen, die sich in Orangenbäume maskiert haben."
Da er gerade auf dem Rückweg aus Italien war, hatte Potsdam vielleicht von vornherein keine Chance. Und dass Heines Worte als Teil einer Kunstinstallation ab diesem Wochenende nun auch das Gerüst des im Wiederaufbau befindlichen Turms zieren, das wird viele in der Stadt mit Sicherheit nicht begeistern. Andere hingegen umso mehr. Denn es handelt sich um den Turm der Garnisonkirche - und das fehlende Fugen-S, das man immer mit einschmuggeln möchte, damit es weniger holpert, ist noch das geringste Problem, das dieses Bauwerk mit sich bringt. Heine hat damals ein heute noch gültiges Dilemma der Stadt formuliert: Auf der einen Seite wird bella figura vermisst, auf der anderen gelten entsprechende Maskeraden als peinlich. Wobei dieser ästhetische Konflikt auch politisch ist. Die Stadtgesellschaft sei "gespalten", heißt es. Und wenn man wissen möchte, wo genau dieser Spalt verläuft, oder, um im Jargon einer Garnisonsstadt zu bleiben: die Front, gelangt man auf das Dach des Rechenzentrums.
Das Rechenzentrum ist der Verwaltungsbau des ehemaligen VEB Maschinelles Rechnen, wenn man so will eine zentrale Serverfarm der DDR. Man könnte es als Tempel der technologischen Antike auffassen. Viele Potsdamer fassten es dagegen als hässliches Ärgernis in ihrer Innenstadt auf und drängten auf Abriss, zumal der Bau zum Teil auf dem Gelände steht, den einst die im Krieg zerstörte, dann 1968 in der DDR gesprengte Garnisonkirche innehatte.
Es geht um die historische Stadtsilhouette. Allerdings leider auch um Hitler
Die Garnisonkirche gilt den Wiederaufbaufreunden als bedeutender Bau des nordeuropäischen Barock. Für sie dient der Turm zur Wiedergewinnung der historischen Stadtsilhouette. Das kann man natürlich so sehen. Was man dabei nur eben auch sehen muss, sind die Bilder, die sich an diesen Turm und das eher kleine Kirchenschiff dahinter sonst noch knüpfen: des greisen Hindenburgs Handschlag mit dem frisch zum Reichskanzler gekürten Hitler zum Beispiel.
Erst standen sich Befürworter und Gegner lange erbittert gegenüber, dann wurden Fakten geschaffen: Der Turm befindet sich seit ein paar Jahren im Wiederaufbau. Währenddessen wurde der DDR-Verwaltungsbau dahinter von einer Initiative in Beschlag genommen, die sich "Freundliche Übernahme Rechenzentrum" nennt und hier nun seit fünf Jahren ein "soziokreatives Zentrum" betreibt, indem es die Räume günstig lokalen Künstlern zur Verfügung stellt.
Von diesem Wochenende haben sie sich nun zum fünften Geburtstag selbst ein kleines Festival geschenkt, das sie "Transformale" nennen, auch um auf die gesellschafts- und geschichtspolitischen Dimensionen des Umbaugeschehens in der Nachbarschaft anzuspielen. Und wenn man mit den Organisatorinnen auf dem Dach steht, dann weisen sie nicht nur auf den notorischen Potsdamer Neubau-Barock hin, sondern, wie Heine, auf die Traditionsbestände des Preußenstolzes: Barockbauten, deren großsprecherische Fassaden viel kleingeistigeren Geschossordnungen vorgeblendet sind. Oder auf das Militärwaisenhaus, von wo aus die Kinder der gefallenen Soldaten es nicht weit hatten zur Gewehrmanufaktur. Dort wurde die Arbeit ihrer kleinen Hände sehr geschätzt.
Das Gerüst ist das Geschenk eines rechtsradikalen Menschen
Vom Dach des Rechenzentrums wird die gesellschaftliche Bedingtheit solcher Werturteile praktisch in allen Himmelsrichtungen deutlich. Nach Norden hin wird das ehemalige Betriebsgelände durch eine Formstein-Mauer abgegrenzt, die seit der Wende verfiel. Dann wurde ihr Schöpfer, der Dresdner Karl-Heinz Adler, als vielleicht bedeutendster Vertreter konstruktivistischer Abstraktion aus Ostdeutschland wiederentdeckt. Seitdem verschwinden die Mauerteile eher ihres vermuteten Wertes auf dem Kunstmarkt wegen. Wenige Meter dahinter steht immer noch das monströse Gestänge, das eine westdeutsche "Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel" unter der Leitung eines rechtsradikalen Oberstleutnants der Stadt als Danaergeschenk hingestellt hat, mit Wehrmachtshuldigungen auf den Glocken. Mit all dem will die Transformale sich nun künstlerisch auseinandersetzen. Wobei man dazu sagen muss, dass es immer nur von Ferne so aussieht, als sei der Potsdamer Konflikt grundsätzlich einer zwischen fortschrittsfrohen Ostdeutschen ohne Berührungsängste mit der Plattenbautechnologie einerseits und andererseits Zuzüglern mit restaurativen Gelüsten aller Art, vor allem aber einem Geschmack, der sich in den Styroporstuck-Abteilungen westdeutscher Baumärkte gebildet haben muss. Von Nahem ist es komplexer. Schon das Neue Forum wollte die Garnisonkirche zurück und das Rechenzentrum dafür am liebsten abreißen.
Umso besser, dass mit Mike Schubert ein Mann aus Potsdam Oberbürgermeister ist, der alle Seiten kennt und salomonische Urteile fällt: Nur das Stückchen vom Rechenzentrum solle abgerissen werden, das ins Weichbild der Garnisonkirche ragt, und deren Rekonstruktion praktisch direkt an den DDR-Bau anschließt. Für die Inszenierung dieser Fuge ist bereits der Architekt Daniel Libeskind ins Spiel gebracht worden; sein Sohn studiert in Potsdam. Nach der barbarischen Abfolge von Abriss und Gegenabriss wäre es die zivilisiertere Konfrontation von Bau und Gegenbau. Eher politikferne Schönheitsbedürfnisse wird das sicher nicht befriedigen. Aber dafür gibt es jetzt sehr prachtvolle Impressionisten im Museum Barberini (siehe weiter unten auf dieser Seite) einem Nachbau eines Nachbaus eines römischen Barockpalastes, von dem leider nicht überliefert ist, was Heine darüber dachte.
Transformale Potsdam, bis 19. September