Der Prozess:Wahn, Delir, Demenz

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Im Prozess um die Testierfähigkeit des Kunstsammlers Gurlitt gab es einige Lücken. Der Politik war der Fall von Anfang an lästig.

Von Andreas Zielcke

Uta Werner, die Cousine von Cornelius Gurlitt, ist mit ihrem Versuch gescheitert, den vom Münchner Amtsgericht dem Kunstmuseum Bern erteilten Erbschein anzufechten. Mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts ist das Verfahren abgeschlossen, eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ließ das Gericht nicht zu. Überraschend ist der Beschluss nicht, überzeugend aber auch nicht. Die Richter kommen zu dem Ergebnis, dass Gurlitt beim Abfassen seines Testaments am 9. Januar 2014 testierfähig war, obwohl eine ganze Reihe von Gutachtern, die Uta Werner beauftragt hatte, den gegenteiligen Schluss ziehen. Zu Recht stellen die Richter ins Zentrum, dass das Gesetz grundsätzlich jeder Person, die mindestens 16 Jahre alt ist, die Fähigkeit zuspricht, wirksam über ihren Nachlass zu verfügen. Nur im Ausnahmefall, nämlich dann, wenn die Person "wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihr abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln", gilt sie als testierunfähig. Das bedeutet, dass ein Gericht von einer Testierunfähigkeit nur ausgehen darf, wenn eine solche krankhafte Störung definitiv erwiesen ist. Bloße Zweifel, auch starke Zweifel, genügen nicht.

Genau so verhält es sich, sagt das Oberlandesgericht, im Falle Gurlitts. Sämtliche Einwände gegen das gerichtlich beauftragte Gutachten haben die Richter "nicht davon überzeugt", dass Gurlitt testierunfähig gewesen sei. Konkret verneinen sie, dass er an einem so starken Wahn oder an einem "sogenannten Delir" gelitten habe oder aber so dement gewesen sei, dass er nicht hinreichend orientiert oder außerstande war, "abwägende und vernünftige Entscheidungen zu treffen".

Selten werden derart massive Zweifel an einem Gerichtsgutachten geäußert

Insofern ist die Entscheidung des Gerichts folgerichtig. Im Unterschied zu der vorangegangenen Entscheidung des Amtsgerichts, das sich jeder genaueren Prüfung der Testierfähigkeit Gurlitts enthalten und ohne Gerichtsgutachten entschieden hatte, machte es sich das Oberlandesgericht mit der Entscheidung nicht zu leicht. Dennoch bleiben Fragen offen.

Angesichts der Einwände der Gutachter, die von Uta Werner gegen das vom Gericht beauftragte Gutachten ins Feld geführt wurden, erscheint es bedenklich, dass das Gericht kein Obergutachten in Auftrag gab. Selten werden in Verfahren über die Testierfähigkeit so massive und begründete Zweifel an einem Gerichtsgutachten geäußert wie hier. Unter den Gegengutachtern sind ausgewiesene Experten für forensische Psychiatrie und Spezialisten für Fragen der Testierfähigkeit, die teilweise in sehr gründlichen Untersuchungen auf die von ihnen behaupteten Mängel des Gerichtsgutachtens eingehen. Dass Gutachten zur Testierfähigkeit, nur um Missverständnisse zu vermeiden, erst nach dem Tod des Erblassers erstellt werden, ist kein Fehler im System, sondern so zwingend wie Obduktionen, die schließlich auch erst nach dem Tode stattfinden.

Unter den Einwänden der Gegengutachten, die, wie auch das Gerichtsgutachten, der SZ vorliegen , ragt der eine hervor, nach dem der Gerichtsgutachter nur jeweils die einzelnen Faktoren für eine mögliche Testierunfähigkeit Gurlitts betrachtet und schließlich entkräftet hat - ohne aber die kumulative Wirkung der Einzelfaktoren zu berücksichtigen. Unzweifelhaft hatte Gurlitt Wahn-, Delir- und Demenzprobleme. Was ist, wenn sie zusammenwirken?

Wenn jetzt das Gericht in seiner Begründung eben diese drei Faktoren jeweils einzeln als zu schwach für eine krankhafte Störung ausschließt, aber nicht auf ihr Zusammenwirken eingeht, scheint es den Fehler des Gerichtsgutachtens zu wiederholen. Ein anderer starker Einwand gegen das Gerichtsgutachten ist, dass der Gutachter offenbar wenig vertraut ist mit den speziellen Problemen geriatrischer Psychiatrie.

Wie auch immer solche Einwände im Prozess zu gewichten sind, scheinen sie jedenfalls derart substantiell zu sein, dass ein klärendes Obergutachten dringend geboten gewesen wäre. Da das Gericht eine Rechtsbeschwerde ausgeschlossen hat, kann der Fehler nicht korrigiert werden.

Immerhin gibt das Gericht, was ungewöhnlich genug ist, am Ende seiner Pressemeldung einen bedeutsamen Hinweis: Uta Werner könnte trotz der ablehnenden Entscheidung vor einem Zivilgericht Klage auf Feststellung der von ihr behaupteten Erbeneigenschaft erheben. Die Zivilgerichte sind nicht an Entscheidungen im Erbscheinsverfahren gebunden, es handelt sich um zwei völlig separate Rechtswege. Ob es im Interesse der Cousine ist, einen neuen jahrelangen Prozess zu eröffnen, ist die Frage. Hinzu kommt, dass sie in dem normalen Zivilverfahren allein die Beweislast trägt. Das, was auch dem Oberlandesgericht im Erbscheinsverfahren nicht gelungen ist - den Zweifel an der Testierunfähigkeit Gurlitts zur Gewissheit werden zu lassen -, müsste sie dann selbst schaffen.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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