Zum letzten Mal hat sich die Komische Oper Berlin vor exakt zwölf Jahren mit einem Werk Richard Wagners beschäftigt. Diese Wagner-Abstinenz an Berlins kleinstem und seit Barrie Koskys Intendanz entdeckungsfreudigstem Opernhaus ist irgendwie logisch, besonders komisch sind seine Opern ja nicht unbedingt. Jetzt macht sich Herbert Fritsch, der Dada- und Unsinnsbeauftragte des deutschen Theaters, mit einem bestens aufgelegten Ensemble an der Komischen Oper einen Spaß mit Wagners Frühwerk "Der fliegende Holländer" - und beweist virtuos, dass man sich dabei glänzend amüsieren und die Oper trotzdem oder gerade ernst nehmen kann.
Fritschs Inszenierungen waren schon immer eine erfreulich pathosfreie Zone. Wagners Todesromantik, die Last von ewiger Verdammnis und Schicksalstragödie, die Liebe, die erst im Untergang Erlösung findet, sind seinem übermütig gut gelaunten Theater eher fremd. Also macht Fritsch mit Wagners Oper, was er mit allem macht: Er verwandelt sie in ein Spiel. "Der fliegende Holländer" wird in seiner Regie von Vaudeville-Clowns, Jahrmarktsfiguren und Posern aus der Popkultur bevölkert. Die großen Arien sind keine schwerblütigen inneren Seelenqual-Monologe, sondern große, lustvolle Auftritte zur Publikumserheiterung im Stil der Commedia dell'arte, gerne direkt an der Rampe abgeliefert. Dem Bühnen-Wirkungstechniker Wagner kommt das verblüffend entgegen. Das Orchester unter Dirk Kaftan spielt eher leicht, kantig und rhythmusbetont, als somnambul in den endlos gedehnten Schönklangräuschen zu schwelgen. Zu Fritschs Freude an der Show passt das hervorragend.
Das Schiff des zur ewigen Odyssee verdammten Seefahrers ist ein riesiges Holzspielzeug, das die Matrosen lustig drehen. Es steht in einem leeren Kasten mit lackspiegelnden Wänden, wir befinden uns offenbar in einem Kinderzimmer (Bühne: der Regisseur). Die tosenden Wellen des Unwetters der Ouvertüre werden zum munteren Körperballett des Matrosenchors, der Sturm ist kein Vorgeschmack auf den Weltuntergang, sondern pure Spielfreude. Und weil wir in einem Kinderzimmer sind, trägt die Mannschaft der blonden, norwegischen Seefahrer adrette Matrosenkostüme. Ihr Kapitän Daland (Jens Larsen) ist ein Bierfass, das gerne den possenreißenden Partyclown gibt. Die Besatzung des zur ewigen Odyssee verdammten Holländers dagegen ist mit abgerissenen Klamotten, zotteligen Haaren und totenbleichen Gesichtern offenbar direkt aus der Gruft oder einer Zombie-Hölle gekrochen, halb Walking Dead, halb Totenschiffbesatzung aus dem "Fluch der Karibik".
Dass die Liebe Erlösung von der ewigen Verdammnis verspricht, ist hier sofort einleuchtend
Auch der Holländer selbst (Günter Papendell) kommt nicht aus der Mythologie, sondern aus den Spaßzirkus der Popkultur. Mit langen roten Haaren und brokatbesticktem Gehrock in morbidem Dunkelpink (Kostüme: Bettina Helmi) gibt er einen abgehalfterten Rockstar aus den 1970ern mit einem Hang zur Vampirromantik, oder vielleicht nur einen Spinner, der sich als Rockstar aus den 1970ern verkleidet hat. Aber er hat seine Fans: Senta (Daniela Köhler), die Tochter Dalands, schmachtet sein Poster in ihrem Mädchenzimmer an und fällt regelmäßig aufs Lustigste in Ohnmacht, wenn sie nur an ihn denkt. Dass sie sich nach dem wilden, zur neverending Seefahrt-Tournee verdammten Höllen-Hippie verzehrt, wird sehr verständlich, als ihr Verlobter Erik (Brenden Gunnell) auftritt: Fritsch inszeniert den armen Erik als Mensch gewordene Büroklammer.
Daniela Köhlers leuchtender Sopran, der auch im Liebesduett mit dem Holländer seine mühelose Leichtigkeit behält, die schöne Ironie, der Selbstgenuss und die Spielfreude, mit denen die Sängerin ihre Senta beschenkt, sind eine Freude. Kein Wunder, dass sich der Holländer sofort in sie verliebt: Dass die Liebe Erlösung von der ewigen Verdammnis verspricht, ist hier sofort einleuchtend. Selbst den wagnertypisch tragischen Tod der beiden Liebenden kann Fritsch nicht ganz ernst nehmen, lieber schenkt er ihnen einen schönen Abgang und lässt zum Finale ihre leuchtenden Hochzeitskleider in den Bühnenhimmel oder in die Unendlichkeit schweben.