Der Countdown XII:Eine Fahne haben

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Vom Geist in der Flasche und vom Nationalstolz als Kaffeetassen- und Geschirrtuch-Ornament: Durch den Brexit hat auch der Union Jack als global wirksames Logo eine Bedeutungsverschiebung erfahren.

Von Alexander Menden

Bald will die britische Regierung die Ausstiegsverhandlungen mit der EU eröffnen. Unser Londoner Kolumnist beschreibt, wie der bevorstehende Brexit jetzt schon den Alltag verändert.

Die Last Night of the Proms, Abschluss der Promenadenkonzerte in der Royal Albert Hall, war die vielleicht letzte Bastion britischen Nationalstolzes. "Rule Britannia" und natürlich "God Save the Queen", alles verpackt in eine nostalgische, dabei aber auch ironische Feier kurzzeitig aufpolierter imperialer Größe, voll von Massengesängen und vor allem Fahnen. Die dominanten Farben, die da geschwungen wurden, waren die der rot-weiß-blauen Union Flag, vulgo Union Jack.

Durch den Brexit hat auch der Union Jack eine Bedeutungsverschiebung erfahren. Als eines der erfolgreichsten Markenzeichen der Welt galt er spätestens seit den Swinging Sixties als cool - und garantierte als integraler Bestandteil des britischen Brandings den Verkauf von Kaffeetassen, Geschirrtüchern und Millionen anderer Souvenirs. Ganz anders das Sankt Georgskreuz, die englische Fahne. Das rote Kreuz auf weißem Grund - einer der drei Bestandteile der Unionsflagge neben dem schottischen Andreas- und dem irischen Patricks-Kreuz - spielte bis in die Achtzigerjahre überhaupt keine Rolle im öffentlichen Leben, bis Skinheads und Hooligans es entdeckten. Das Georgskreuz ist seitdem Symbol der kleingeistigen "Little-Englanders". Der Union Jack dagegen hatte die britischen Inseln hinter sich gelassen, und war, wie die Stars and Stripes, ein globalisiertes Logo geworden.

Wie sehr sich das geändert hat, wie gut es den Brexiteers gelungen ist, dieses Symbol mit ihren eigenen Zielen zu besetzen und so wieder auf etwas Engeres zu reduzieren, wurde einem beim letzten Besuch im Peak District klar. Im Herzen dieses Nationalparks liegt Bakewell, ein malerisches Örtchen, das so ziemlich jedes englische Kleinstadtklischee erfüllt. Eine mittelalterliche Brücke führt über den Fluss Wye, auf dem sich Schwäne tummeln, in der Mitte des hübsch bepflanzten Verkehrskreisels steht ein Weltkriegsdenkmal. Im Sommer nach dem Referendum waren alle Straßen mit Union Jacks beflaggt. Was bis vor kurzem schlimmstenfalls wie Touristenkitsch gewirkt hätte, bekam nun einen unangenehm dumpfen Beigeschmack. Bakewells provinzielle Fish-and-Chips-Selbstzufriedenheit erschien einem plötzlich wie der Geist des Brexit.

Die Zukunft der Union Flag ist wohl nicht die drängendste Frage nach dem Brexit. Sie wird auch weiterhin Kaffeetassen schmücken. Es wäre aber interessant, zu sehen, was aus ihr würde, sollte Schottland aus dem Vereinigten Königreich aussteigen. Dann müsste das schottische Andreaskreuz wohl aus dem Union Jack gelöscht werden. Dem Georgskreuz wäre das sicher sehr recht. Es hätte dann endlich wieder mehr Platz.

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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