"Der chinesische Verräter":Willkommen in der neuen Zeit

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Bezahlen und sich bezahlen lassen: Adam Brookes war jahrelang BBC-Korrespondent in China. Jetzt hat er einenkonsequent zeitgemäßen Agententhriller über die globalen Machtverhältnisse geschrieben.

Von Felix Stephan

Eine der wichtigsten Lehren der Gegenwart lautet, dass die Wirklichkeit genau so ist, wie sie sich die Genreromane immer vorgestellt haben. Das versteht sich keinesfalls von selbst. Lange hatte es die Hoffnung gegeben, dass die politische Wirklichkeit weitaus komplizierter, gebrochener, ambivalenter ist, als sie sich in Agententhrillern darstellt, wo es einen Guten und einen Bösen gibt, wo verschlüsselte Botschaften in schattigen Gassen übergeben werden, wo es hinter der allgemein bekannten Gesellschaft immer noch eine zweite, verborgene gibt und man die wirklich Mächtigen nie zu Gesicht bekommt.

Das hatte man bei Graham Greene und Ian Fleming so oft gelesen, dass es längst zum Klischee geronnen war. Eigentlich lag es auf der Hand, dass es in Hinterzimmern und situation rooms doch irgendwie interessanter zugehen müsse. Die Leute dort müssten sich des Bildes bewusst sein, das die populäre Literatur von ihnen zeichnet, und würden es in ihrem alltäglichen Gebaren zu unterlaufen versuchen, schon allein, um sich selbst nicht zu langweilen und nicht nur eine Karikatur ihrer selbst zu sein.

Heute wissen wir: Kein Genre ist der Wahrheit so nah wie der Agententhriller

Die Einblicke von Julian Assange, Edward Snowden und all der namenlosen Whistleblower in den vergangen Jahren haben allerdings gezeigt, dass in den Zentren der Macht offenkundig niemand das geringste Interesse daran hat, seinem eigenen Klischee auszuweichen. In den Leaks und in den investigativen Sachbüchern von Michael Lewis, Seymour Hersh und Michael Wolff tritt der militärisch-industrielle Komplex genau so plump kriminell, breitkrawattig und oligarchisch auf, wie es in den Agententhrillern zu lesen war.

In diesem Sinne ist "Der chinesische Verräter", der Debütroman des ehemaligen China-Korrespondenten der BBC, Adam Brookes, ein zeitgemäßes Buch. Einerseits ist der Roman erkennbar Genreliteratur, er verfügt über alle geläufigen Merkmale eines gut gemachten Thrillers. Andererseits kommt es der Wirklichkeit wahrscheinlich gerade deshalb sehr nah.

Im Zentrum steht der chinesische Dissident Li Huasheng. Dessen Eltern gehörten der chinesischen Intelligenz an, weshalb sein Vater von der maoistischen Inquisition verhaftet, gefoltert und zu öffentlicher Selbstkritik gezwungen wurde. Huashengs Rache bestand darin, chinesische Staatsgeheimnisse an den britischen Geheimdienst zu verraten, bis er nach dem Massaker vom Tiananmen-Platz in anderer Angelegenheit zu zwanzig Jahren Arbeitslager verurteilt wurde.

Der Roman setzt ein mit Huashengs Ausbruch aus dem Gefängnis. Gegen alle Wahrscheinlichkeit kämpft er sich durch die Wüste des Qaidam-Beckens in der inneren Mongolei, taucht in Beijing unter und nimmt dort den alten Kampf wieder auf: den Kampf der chinesischen, von westlichen Freiheitsidealen träumenden Intelligenz gegen die maoistische Gewaltherrschaft der Kommunistischen Partei.

Der Thriller liest sich wie ein FBI-Bericht. Neuerdings ist das ein Kompliment

Die Ausgangsbeobachtung der Romanhandlung lautet allerdings, dass sich die Konfliktlinien seit 1989 gründlich neu sortiert haben und Li Huasheng keinen einzigen Kontrahenten mehr dort vorfindet, wo er ihn vor zwanzig Jahren zurückgelassen hat. Die Kommunistische Partei verfolgt die Wissenschaftler nicht mehr, sondern bezahlt sie gut. Die Wissenschaftler bekämpfen die Partei nicht mehr, sondern lassen sich gut bezahlen. Und der ehemals mächtige britische Geheimdienst hat die kompliziertesten Operationen längst an global agierende, private Dienstleister ausgelagert, die sich im Zweifel ebenfalls von der Kommunistischen Partei Chinas gut bezahlen lassen wollen.

Das ist natürlich alles eher Kunstgriff als Begriffskunst, darin aber wirklich schön. Keine Figur hat Eigenschaften, die für den Fortgang der Geschichte nicht unbedingt benötigt werden, niemand hat ein erkennbares Innenleben, alle denken immer nur über den unmittelbar nächsten Schritt nach. Auf der formalen Ebene ist das alles sehr konsequent unoriginell, und gerade deshalb glaubt man jede Silbe.

Über den "Mueller Report", den Bericht des FBI-Sonderermittlers Robert Mueller über die Rolle der Russen im amerikanischen Wahlkampf, hieß es oft, er lese sich wie ein Thriller. Im Falle von Adam Brookes' Roman müsste man den Vergleich nun umdrehen: Der Thriller liest sich wie ein FBI-Bericht. Bis vor Kurzem wäre das noch kein Kompliment gewesen, aber die Zeiten sind eben andere.

Adam Brookes : Der chinesische Verräter. Roman. Aus dem Englischen von Andreas Heckmann. Suhrkamp, Berlin 2019. 402 Seiten, 15,95 Euro.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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