Demokratiepreis:Journalist Hersh in Berlin ausgezeichnet

Lesezeit: 6 min

Für seine Reportagen erhält der amerikanische Journalist Seymour Hersh den Demokratiepreis der "Blätter für deutsche und internationale Politik" in Berlin. Hersh hat das Vietnam-Kriegsmassaker von My Lai aufgedeckt, später enthüllte er den Folter-Skandal von Abu Ghraib.

Hans Leyendecker

"Wir haben es hier mit einem Gegner zu tun, der schlimmer ist als die Kommunisten (...) Die wollen uns drankriegen (...) Was ich, ehrlich gesagt, nie bedacht habe, war, wie weit diese Bastarde gehen würden (...) Es ist mir wurscht, wie es gemacht wird. Tut nur, was getan werden muss, um diese undichten Stellen zu stopfen. Ich will nicht hören, warum es nicht möglich ist (...) Ich will keine Ausreden. Ich will Ergebnisse. Ich will, dass es gemacht wird. Um jeden Preis (...) Haltet die heiße Ware unter Verschluss''.

Seymour Hersh. (Foto: Foto: dpa)

Diesen Auftrag gab Anfang der siebziger Jahre der 37. Präsident der Vereinigten Staaten, Richard Nixon, seinen engsten Mitarbeitern; darunter Robert Haldeman und John Ehrlichman. Auch seinen Mann fürs Grobe in der feinen Welt der Diplomatie, Henry Kissinger, schaltete er ein. Mit "Bastard'' war, neben den Washington-Post-Reportern Carl Bernstein und Bob Woodward, auch Seymour Hersh gemeint, der damals für die New York Times arbeitete. Im August 1974 wurde Nixon zum Rückzug aus dem Präsidentenamt gezwungen. Der Fall ist zum Stoff für Historiker geworden.

Seymour Hersh, der Demokratiepreisträger 2007, hat sich Anerkennung nimmermüde erarbeitet. Die Furcht vor dem "Bastard'', der die heiße Ware der Regierenden an die Öffentlichkeit bringt, ist der beste Schutz der Demokratie. Vor Parlamenten fürchten sich manche der Regierenden weit weniger als vor Leuten wie ihm. Als er Mitte der siebziger Jahre aufdeckte, dass amerikanische U-Boote Spionagefahrten innerhalb der russischen Drei-Meilen-Zone unternahmen, bestand die Gefahr, dass der Kalte Krieg heiß wurde.

Im Visier des FBI

Dennoch wollten die Herren Rumsfeld und Cheney, die damals im Stab des Präsidenten Gerald Ford arbeiteten, das FBI auf ihn ansetzen. Hersh komme "im amerikanischen Journalismus dem am nächsten, was man einen Terroristen nennt'', hat der Bush-Berater Richard Perle vor ein paar Jahren gesagt. Kann es einen besseren Laudator als Perle geben? Mit seiner offenen Feindschaft adelte Perle den Journalisten. Hersh hatte im New Yorker aufgedeckt, dass Kriegs-Befürworter Perle mit Firmen verbunden war, die am Irak-Krieg verdienen konnten.

Und der Boss, George W. Bush? Auch der gegenwärtige amerikanische Präsident hat Hersh geehrt. Er hat ihn einen "Lügner'' genannt. Seymour Hersh, Sohn jüdischer Immigranten aus Osteuropa, ist gelernter Historiker und fing als Polizeireporter an. Er war freier Journalist, Agentur-Journalist, Hauptstadt-Korrespondent, arbeitet seit 1992 beim New Yorker und schreibt Bücher.

Hersh hat in all diesen Jahren Geschichte und Geschichten gemacht wie kein anderer lebender Reporter: Als junger Nachrichtenredakteur deckte er 1969 das Vietnam-Kriegsmassaker von My Lai auf, 35 Jahre später enthüllte er den Abu-Ghraib-Skandal.

Dazwischen waren Enthüllungen über die Rolle der CIA im Putsch von Chile, die Rolle Kissingers beim Bombenkrieg gegen Kambodscha, die amerikanische Unterstützung von Atomprogrammen in Israel und Pakistan, die Massaker im Golfkrieg I, die Manipulationen des Office of Special Plans vor dem Irak-Krieg, die Desinformationen der CIA.

Wir leben heute in einer schnellen Zeit, und von Journalisten wird schnelle Ware erwartet. Ob sie leicht verderblich oder haltbar ist, darauf kommt es oft nicht mehr an. Hersh hingegen ist altmodisch und damit zeitgemäßer als viele andere Journalisten. Seine Arbeit zeigt: Erkennbare Linien und langer Atem zahlen sich aus. Wenn er die Iran-Abenteuer der Regierenden in Washington enthüllt, macht er weltweit Nachrichten und regt zur Nachdenklichkeit an. Was er über Syrien oder den Libanon sagt, hat Gewicht.

Wer mit einer seiner ersten großen Geschichten den Pulitzer-Preis gewinnt - und Hersh bekam den Pulitzerpreis für seine My-Lai-Enthüllung, ist normalerweise gefährdet: Eine frühe Geschichte, die in die Haut der Nation gewachsen ist, hinterlässt gewöhnlich Spuren in den eigenen Jahresringen. Man muss stark sein, um keine Starallüren zu entwickeln. Hersh mimt nicht den Star.

70 Jahre alt ist er mittlerweile, und er ist noch immer eine Gefahr für diejenigen in der Regierung, die sich über die Gesetze stellen. Er kämpft unverdrossen dagegen, dass demokratisch gewählte Politiker zu Machthabern mutieren. Er trifft sich heimlich mit Informanten. Mit seinen Quellen kann er neuerdings nicht mehr unbesorgt am Telefon sprechen. Das Wort "Wirken'' umschreibt die Tätigkeit des Mannes, der den Preis erhält, im doppelten Wortsinn.

Sisyphos der Demokratie

Aber warum arbeitet so einer mit allen Fasern seiner Existenz? Warum wird er niemals müde? Auf eine solche Frage hat er mal geantwortet: "Die Mächtigen sollen wissen, dass sie da draußen von jemandem kontrolliert werden.'' Hinter dieser Antwort steckt die unausgesprochene Feststellung, dass sie da drinnen unzureichend kontrolliert werden. Hersh ist eine Art Sisyphos der Demokratie.

Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat darauf hingewiesen, dass jener Sisyphos mehr war als ein Outsider, der in übergroßer Tragik unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufwälzte. Enzensberger nennt Sisyphos eine "Figur des Alltags'' - sehr klug, ein bisschen trickreich, kein Philosoph. So sei Sisyphos gewesen.

Hersh ist kein Philosoph. Er schreibt sorgfältig, vergleichsweise spröde, ist auch sonst von ziemlicher Kargheit, und die lebt er vor. Den Kontakt in die Redaktion pflegt er über die Faktenprüfer des New Yorker, die seine Quellen kennen. Auch mit dem Chefredakteur redet er über seine Quellen, die im Blatt meist anonym vorkommen. "Es gibt Leute an entscheidenden Stellen, die die Wahrheit sagen wollen. Aber sie wollen auch ihre Jobs nicht verlieren. Sie wollen sagen, was los ist, aber sie haben eine Frau, ein Kind, eine Hypothek'', hat Hersh den Umgang mit den Quellen umschrieben.

Wir leben manchmal in einer Demokratie, die sich vor der Wahrheit fürchtet. An seinem Schreibtisch, in dem engen Nest aus Papieren, Büchern und Zeitungen, sitzt Hersh wie ein Alchemist in seiner Bude. Nicht er sei wichtig, seine Arbeit sei wichtig, sagt er gern. Nicht einmal einer seiner Gegner, und die hat er reichlich, kann ihn nachweisbar der Oberflächlichkeit zeihen. Profit zu machen ist auch im Zeitungsgewerbe legitim.

Die Arbeit, die Hersh leistet, lohnt sich für die anderen. Vielleicht bringt er keine Werbekunden, aber er wirbt für die Demokratie und das Recht. Wenn Journalismus mehr ist als ein Geschäft, wenn Journalisten mehr sind als harmlose Narren, müssen sie brennen. Demokratie basiert auf öffentlichen Prozessen der Willens- und Entscheidungsbildung. Die zentrale Frage ist dabei, wie Medien mit ihrer Rolle als Vermittler zwischen Wirtschaft, Politik und Publikum und mit ihrer Rolle als Kritiker und Kontrolleur umgehen.

Die Antwort darauf lautet seit Jahren: eben nicht so autonom und kompetent wie es dem Ideal der politischen Kommunikation in unserer Gesellschaftsordnung entsprechen würde. Mancher Journalist ist von Berufswegen furchtbar bang. Nicht nur in den USA, aber dort besonders. Die Geschichte über Abu Ghraib beispielsweise lag zunächst beim Fernsehsender CBS.

Als Seymour Hersh davon Wind bekam, wollte er die Kollegen unterstützen. Dann erkannte er, dass die sich nicht richtig trauten und begann selbst mit einer umfassenden Recherche. Über die Folter im Namen der Freiheit machte er in ein paar Wochen drei, vier große Geschichten, die weltweit Beachtung fanden.

Parteigänger des Journalismus

Seine konservativen Feinde wollen ihn gern mit dem Vorwurf treffen, er sei ein Parteigänger der Demokraten und erledige deren Geschäfte. In den späten Sechzigern hat Hersh tatsächlich eine kurze Karriere bei den Demokraten gemacht, auf deren Seite er auch heute noch steht. Ist er deshalb ein Parteigänger? Er ist ein Parteigänger des Journalismus.

Weil er weiß, dass die anderen seine Einstellung kennen, muss er in der Arbeit seine Unabhängigkeit demonstrieren. Wehe den Demokraten, die fehlen. Er hat eine Menge kritischer Berichte über den früheren Präsidenten Bill Clinton geschrieben. Die Amerikaner benennen die Wühlerei von Journalisten mit einem Wort ihres ehemaligen Präsidenten Theodore Roosevelt, der von "muckraking'' sprach. Gemeint war der Job jener Journalisten, die, um einer Sache auf den Grund zu gehen, den Schmutz wie ein Schwein umgraben.

Schreiben gegen Widerstände

Hierzulande nennt man einen wie Hersh einen investigativen Journalisten. Investigativer Journalismus bedeutet vor allem das Recherchieren und Schreiben gegen Widerstände und Barrieren. Die Themenfelder zeichnen sich durch ein hohes Maß an sozialer Relevanz aus, und dem Journalisten kommt dabei die aktive Rolle zu.

Weltweit gibt es einen Wettbewerb um Schlagzeilen und Enthüllungen. Wir leben heute in einer permanenten Gegenwart - ohne Vergangenheit, ohne Zukunft. Ständig wird eine neue Sau durchs globale Dorf getrieben. Es sind ganze Herden von Schweinen unterwegs, und es werden immer mehr.

Erstrebenswert scheint manchem nur noch das frühzeitige Besetzen von Themen zu sein, das Anzetteln von Aufregungskommunikation, die dafür sorgt, dass das eigene Blatt, der eigene Sender von anderen Blättern, von anderen Sendern erwähnt wird. Es werden Statistiken darüber geführt, welches Medium die meisten exklusiven Nachrichten veröffentlicht hat. Statistiken darüber, wie viele dieser Meldungen recycelt oder falsch waren, gibt es leider nicht.

Ein guter Journalist ist ein Unzufriedener. Niemand, der zufrieden ist, ist fähig zu schreiben. Niemand, der mit der Wirklichkeit einverstanden, mit ihr versöhnt ist, wird ein guter Journalist werden. Die Wirklichkeit unserer Tage bietet dem Journalisten ein Füllhorn von Gründen, unzufrieden zu sein. Trotzdem ist es nicht leicht, Menschen zu finden, die etwas Neues zu sagen haben.

Noch viel schwieriger ist es, Menschen zu finden, die etwas Neues hören wollen. Seymour Hersh findet immer wieder Neues, und er hat weltweit Leute gefunden, die von ihm Neues hören wollen. Auch das kennzeichnet seine Einzigartigkeit. Andererseits: Wir sollten, wenn wir über Journalismus reden, nicht allzu häufig über Moral philosophieren. Wenn die Sprache von Moralin trieft, ist Skepsis angebracht.

Dostojewski hat, was übertrieben war, die Menschheit mal in zwei Gruppen eingeteilt: In Heilige, die sich für Verbrecher halten, und Verbrecher, die sich für Heilige halten. Der recherchierende Journalist ist kein Heiliger. Selbst ein Enthüller vom Format des Seymour Hersh kann nicht die Welt verändern. Was er tut, bewirkt meist - die ignorante Regierung Bush stellt da eine Ausnahme dar - ein Nachdenken, eine Selbstprüfung. Das ist schon viel.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: