Debütroman:Oberflächen aller Art

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Sie will Gedichte schreiben, aber alle erwarten Prosa. In ihrem Dekadenz-Roman "Die Mittlerin" erzählt Julia Trompeter von einer Jung-Autorin.

Von Insa Wilke

Walter Benjamin soll einmal beschrieben haben, wie an mittelalterlichen Fürstenhöfen Narren in übergroße Flaschen gesteckt wurden und zur Belustigung der Herrschaft scheinbar die komischsten Tänze vollführten. Tatsächlich erfreuten sie ihr Publikum mit ihrem Erstickungskampf. Der Dichter Thomas Brasch führte diese Geschichte in einem Interview als Beispiel für die Unverhältnismäßigkeit der Kunst in Zeiten der Konsolidierung an, Zeiten "verhärteter Verhältnisse", wie sie sich auch in der Nachkriegszeit entwickelten, von der ein anderer Autor mit den Initialen TB geprägt wurde: Thomas Bernhard.

Bernhard, dessen Erzählung "Gehen" die serbische Autorin Barbi Marković 2009 ziemlich genial remixed und in die Nachkriegsstimmung Serbiens Anfang des 21. Jahrhunderts transponiert hat, ist wohl einer der im Sinne Benjamins und Braschs als "lustig" missverstandenen Schriftsteller. Durch seinen simplen Oberflächen-Stil lässt sich die Komik seiner Texte leicht konsumieren und sogar imitieren, ohne ihre Abgründe mitdenken zu müssen.

Das jüngste Beispiel dafür ist Julia Trompeters Debüt-Roman "Die Mittlerin". Die Bernhard-Imitation ihrer Protagonistin wird hier zum Sprungbrett für eine Roman-Biografie im buchstäblichen Sinne: Man erlebt scheinbar live mit, wie sich der Text selbst schreibt. Auch die Kritik daran wird vorweggenommen: Trompeters erzählende Heldin - wie die Autorin eine angehende Schriftstellerin und eher der Lyrik zugeneigt - bekennt, dass sie "Oberflächen aller Art" mag, und treibt ihr Spiel mit Regelpoetiken, vor allem aber mit der Vorstellung, Literatur müsse Ausdruck einer existenziellen Not sein.

Trompeter karikiert die Jungschriftstellerin, die sich mit der Verachtung der Lyrikerin in die Niederungen der Prosa begibt, weil Markt und Agentin das fordern. Die Jung-Autorin gibt sich als poeta doctus, zitiert aber so plump, dass sie bloß geschwätzig wirkt. Auf Verlage, Agenten und Literaturgeschichte schaut sie nicht kritisch, sondern naiv, reproduziert Klischees, spricht in Phrasen. Alles in allem "irgendwie" eine Figur des Widerstands oder zumindest Gestalt gewordene Dekadenz.

Aber Figur und Roman kränkeln an dem, was sie beschreiben, an der Leere nach dem abstrakten Knall oder besser: nach dem Knacks. Wie die Erzählerin es selbst sagt, es "plätschert" so vor sich hin, spült Haupt- und Nebengedanken durcheinander. Die Bernhard-Auseinandersetzung versandet im Literaturbetriebsroman, der literaturtheoretische Essay versiegt im Autorinnen-Psychogramm, die vorsichtige Liebesgeschichte zwischen Mittlerin und Schützling verläuft sich in den angerissenen Milieustudien der Kreuzberger Gesellschaft und schöne, gut erzählte Szenen wie die vom berühmten Schriftsteller und seiner Arbeit am Nachlass zu Lebzeiten gehen im Palaver der Erzählerin unter. Mag alles postmodern und legitim sein. Am Ende stellt man sich trotzdem die Frage der Verlagsfrau, mit der alles begann: "Warum sollte eine junge Frau ein Buch schreiben sollen, warum sollte man sich heute, da die Stapel in den Verlagshäusern die Dimensionen von mehrstöckigen Altbauten annehmen, noch darum bemühen, jemanden zum Debüt zu überreden?" Julia Trompeters Roman bleibt die Antwort jedenfalls schuldig. Existenzielle Not ist glücklicherweise keine notwendige Bedingung für einen Roman, existenzielle Ernsthaftigkeit aber schon, gerade dann, wenn es komisch wird.

Julia Trompeter: Die Mittlerin. Roman. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2014. 216 Seiten, 19,95 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

© SZ vom 30.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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