Debatte:Der Unternehmer als Soziopath

Lesezeit: 2 min

Von Andreas Zielcke

Viele wollen ihm jedes Übel dieser Welt anhängen, aber so allmächtig ist der Kapitalismus dann doch nicht. Bei weitem gehen nicht alle Kriege, Katastrophen, Armut, zerfallende Staaten, Xenophobien und andere Miseren auf sein Konto. Aber sein Sündenregister ist lang und schlimm genug, von Ressourcenverschwendung bis zur Aufheizung der Erde, von Ausbeutung bis zur extremen Ungleichheit. Dem steht seine phänomenale Power als Wohlstands- und Innovationsmotor gegenüber. Daraus folgern alle liberalen Nationen: Man muss ihn erhalten, aber auch zähmen. Und als wichtigster Dompteur gilt seit je der Staat. Dass ihm das nicht hinreichend gelingt, zeigt das akute Sündenregister. Kapitalistisch befeuerte destruktive Prozesse scheinen eher noch zu-, als abzunehmen.

Die New York Times stellte Ende Juli einen konträren Ansatz vor. Ein ganz anderer Akteur müsse die Unternehmen wirksam bändigen - sie selbst. Klingt das nicht arg naiv? Lasst nur noch Gutmenschen ins Management? Doch so schlicht argumentiert James Gamble nicht. Er ist der Autor dieser Idee, die sich nicht im bloßen Appell einer "social responsibility" erschöpft. Gamble war Partner einer großen amerikanischen Anwaltskanzlei. Das Fazit seiner Praxis: Unternehmen seien rechtlich verpflichtet, wie "Soziopathen" zu agieren. Soweit es der Markt nicht ohnehin erzwingt, dürfen sie gar nicht anders, als allein dem Gebot der Profitmaximierung zu gehorchen. Geht das auf Kosten der Belegschaft (weil die Produktion von Indiana nach Taiwan verlegt wird), steigert das die Plastikvermüllung der Ozeane, lässt das landesweit die Böden versauern oder bringt das den Staat um Steuern, dann ist das alles irrelevant, weil es die von den Shareholdern einklagbare Pflicht verlangt.

Reine Profitmaximierung, sagt Gamble, ist legalisiertes asoziales Verhalten. Er schlägt vor, zumindest Großunternehmen radikal neu zu verfassen. Das Gebot der Profitmaximierung gilt fort. Es wird jedoch eingebettet in ein vom Unternehmen selbst aufgestelltes, rechtlich bindendes Statut, das ihm Rücksicht auf die Angestellten, auf die Gemeinde der Produktionsstätte, auf die Kunden, auf die Umwelt und auch auf künftige Generationen auferlegt. Der Clou ist also nicht nur, das Gemeinwohl in unternehmerisches Entscheiden zu integrieren. Vielmehr auch, dass jede Firma diese soziale Umsicht selbst definiert - eine Polyfonie des verbindlichen Allgemeininteresses innerhalb des Marktes. Einwände liegen nahe, nicht zuletzt, wie Konflikte zwischen dem Profitziel und den anderen Zielen zu lösen wären. Aber erledigt das die Idee? Kaum, denn ohne Gemeinwohlprinzipien systemisch auch in den Unternehmen zu verankern, gräbt der Kapitalismus sich - samt uns - das Wasser ab.

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: