DDR-Aussteigerroman "Kruso":Lutz Seiler gewinnt Deutschen Buchpreis

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Er teilt seinen Stoff mit der Zeitgeschichte, aber die Sprache teilt er nicht mit ihr. Der Schriftsteller Lutz Seiler wird für seinen DDR-Aussteigerroman "Kruso" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Von Lothar Müller

Für seinen Roman "Kruso" (SZ vom 6. September) hat Lutz Seiler den Deutschen Buchpreis bekommen. Das ist eine gute Wahl. Sie führt zurück in den Sommer und beginnenden Herbst 1989 vor 25 Jahren, als die Mauer schon porös zu werden begann, ehe sie schließlich aufhörte, Grenze zu sein und fiel.

Hiddensee, das "Capri des Nordens", wird in diesem Roman zur Arche für viele, die einen inneren Ausreiseantrag gestellt, das Land verlassen haben, ohne seine Grenzen zu überqueren, und Kruso, Alexander Krusowitsch, halb Russe, halb Deutscher, Sohn eines Generals und einer verunglückten Zirkusartistin, geboren im Jahr des Mauerbaus 1961,der dem Roman den Titel gibt, ist das Zentrum dieser Kolonie von Schiffbrüchigen.

Mit dem Robinson aus Daniel Defoes Roman ist dieser Kruso und sein Freitag, der Ich-Erzähler Ed, nur entfernt verwandt, nicht eine Kaufmannsreise hat ihn zum Schiffbrüchigen gemacht, sondern ein Lebensverlust: das Verschwinden seiner älteren Schwester Sonja vor der Küste Hiddensees, so wie in Ed die tote Freundin aus Halle spukt, das er verlassen hat, um eine Auszeit vom Leben zu nehmen.

Lutz Seiler teilt seinen Stoff mit der Zeitgeschichte, aber die Sprache teilt er nicht mit ihr. Als Lyriker hat der 1963 in Gera geborene Autor begonnen, die Landschaften Thüringens und den Uranbergbau beschrieben, ehe er innerlich auf See ging, um die Sprachleinen auch im Roman loszulassen. Und wer diesen Roman liest, etwa die Passagen über das Rumoren der Lyrik in den Abwascharbeitern der Gaststätte "Zum Klausner", der bekommt einen Einblick auch in die Geschichte der Entstehung eines Autors.

Showdown mit Kamerafahrten

Im Frankfurter Römer wurde die Entscheidung wie üblich am Vorabend der Buchmesse als Live-Showdown inszeniert, wie üblich mit Kamerafahrten über das Publikum und Heranzoomen der Jurymitglieder und der Kandidaten, mit Video-Einspielungen über die Bücher samt Autoren-Interviews, und wie üblich erhält der Sieger nun 25 000 Euro, die übrigen fünf Autoren der Shortlist je 2500 Euro. Gert Scobel der wieder moderierte, räsonierte über Bücher, die Feuer bringen und über Prometheus als Kulturbringer, schlug in einem mythologischen Crashkurs den Bogen vom Lagerfeuer zu Facebook.

Mit der Auszeichnung für Lutz Seiler endete ein Wettbewerb, in dem die Jury spätestens mit der Shortlist den Akzent ganz auf das Motiv "Deutschland befragt sich selbst" gesetzt hatte. Im vergangenen Jahr hatte Terézia Mora für ihre Road-Novel "Das Ungeheuer" den Deutschen Buchpreis erhalten und darin den Helden auf eine Reise nach Südosteuropa geschickt.

Im Frühjahr nahm Saša Stanišić den Preis der Leipziger Buchmesse entgegen für seinen Roman "Vor dem Fest" und Katja Petrowskaja stand dort mit "Vielleicht Esther" auf der Shortlist, einer Suche nach dem ukrainisch zentrierten Geflecht ihrer Familie.

Und wenn die öffentliche Diskussion über die Gegenwartsliteratur, der die Jury-Vorsitzende Wiebke Porombka nun im Römer vorwarf, vor allem von der Lust an sich selbst zu leben, nicht gerade an den Romanen "Frauen, die auf Listen fehlen" oder "Männer, denen Muskeln fehlen" schrieb, ging es um die wachsende Bedeutung derjenigen Autoren und Autorinnen, die nicht in Deutschland geboren sind, deutsche Literatur schreiben und neue Blicke auf das Land und die Sprache werfen. Nun aber kein Sherko Fatah mit dem Irak-Roman "Der letzte Ort", kein Feridun Zaimoglu mit "Isabel" auf der Shortlist.

Zwei Romane bleiben auf der Strecke

Thomas Hettche hatte mit seinem Roman "Pfaueninsel" über das künstliche preußische Paradies in der Havel als Spiegel deutscher Innenwelten im anbrechenden Industriezeitalter das Nachsehen gegenüber der Sprachgischt Seilers, ebenso Gertrud Leutenegger mit ihrem Roman "Panischer Frühling", der zwei Kind- heiten in einem Londoner Frühling spiegelt.

Auf der Strecke blieben am Ende auch die beiden harten, im Präsens erzählten Romane prekärer deutscher Existenzen in der DDR um 1980 und in der Bundesrepublik der Gegenwart, Angelika Klüssendorfs "April" und Thomas Melles "3000 Euro". Heinrich Steinfest war mit "Der Allesforscher" der Humorist unter den Kandidaten. Er wird sich über 2500 Euro lächelnd freuen.

© SZ vom 07.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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