Datenklau im Netz:Falschgeld Mensch

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Viele Menschen, viel Aufmerksamkeit, so lautet die Faustformel in den sozialen Medien. Die New York Times hat aufgedeckt, wie der illegale Datenhandel funktioniert.

Von Bernd Graff

"Dein Erfolg in den sozialen Medien, wir machen ihn möglich": Laut war die Werbung ja immer schon, oft vollmundig, auch vorlaut, das muss sie sein, denn sie will die Aufmerksamkeit lenken auf Unternehmen und ihre Produkte. Das Produkt des amerikanischen Unternehmens Devumi allerdings, das so für sich wirbt, ist die Aufmerksamkeit selbst: "Du kommst rasend schnell an Follower, Nutzer, die dich wahrnehmen, mögen & noch viel mehr" dank "unserer Kraftmischung an Marketing-Taktiken". Es geht hier nicht um gelenkte, sondern um käufliche Aufmerksamkeit im Netz auf Stars und Sternchen des Showbiz, auf Athleten, Politiker, inzwischen auch auf ganz normale Menschen, die es in die Sphäre digitaler Beachtung drängt.

Zu Devumis Kunden zählen: Fernsehgrößen und Sportler, Comedians, TED-Sprecher, Geistliche und Models, die sich Armeen von Schattenbegeisterten einkaufen. Denn massenhaft bezeugte Aufmerksamkeit (oder die Illusion von massenhaft bezeugter Aufmerksamkeit) ist für Celebrities wie auch für Vermittler wie Devumi bares Geld wert. Der Beleg großer Aufmerksamkeit attestiert ja nicht nur großen Erfolg und eine breite soziale Akzeptanz, sie definiert auch Interesse. Und da schaut man eben hin, weil alle hinschauen.

So kommt es, dass Popularität neue und oft sogar noch größere Popularität erzeugt. Das gilt schon lange, Menschen wie Paris Hilton sind berühmt, weil sie als berühmt gelten. Diese Form der Selbsterfüllung gilt jedoch verstärkt für die Stars der sozialen Medien, die man hier Influenzer nennt, weil sie in der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie mit massenunterfütterter Präsenz Einfluss auf das Kaufverhalten von Gesellschaften nehmen können. Und darum macht eine große Followerzahl auch das, wofür die Influenzer stehen und werben, wiederum relevant und modisch hipp. Viele Menschen, viel Aufmerksamkeit, viel Geld, so lautet die banale Faustformel. Oder, um es im Jargon der sozialen Medien auszudrücken: Scheiße schmeckt! So viele Fliegen können sich ja nicht irren.

Doch wie kommt die vollmundige Devumi eigentlich selbst an die Heerscharen von "Followern, Nutzern und Likes", deren taktische Sympathiebekundungen sie ihren mehr als 200 000 Kunden ja anbietet? Wie die New York Times in einem (atemraubend guten und gut aufgemachten) Internet-Dossier am Wochenende herausgefunden haben will: durch "groß angelegten" Identitäts-Diebstahl im Internet.

Ein Massenaufgebot von geschätzten drei bis fünf Millionen komplett automatisierten und kompromittierten Internet-Accounts von realen Personen, die immer wieder an neue Devumi-Kunden verhökert werden, sind angeblich bereits mehr als 200 Millionen Mal als falsche Claqueure im Dienst der diversen Devumi-Klienten zum Einsatz gekommen. Sogar ein Mitglied des Vorstands der Firma Twitter hat sich massenhaft mit solchen Twitter-Followern eingedeckt.

Ein Teenager-Name warb für Makler, Kryptowährungen, Pornos und Radiosender in Ghana

Die realen Namen, Profil-Fotos, Adressen und Daten von mindestens 55 000 lebenden Personen wurden geplündert. Darunter Internetpräsenzen von Jugendlichen. Die Times schildert den Fall eines Mädchens aus Minnesota, dessen Daten zum Beifall für kanadische Immobilienmakler wie für obskure Kryptowährungen, für eine Radiostation in Ghana, zur Weiterverbreitung von Meinungen auf Arabisch und Indonesisch (Sprachen, die der Teenager gar nicht beherrscht) und natürlich (und wie fast immer) für Porno-Seiten eingesetzt wurden. Reale Menschen wurden wie Falschgeld in Umlauf gebracht.

Was tun die Plattformen dagegen, die sozialen Medien wie Facebook und Twitter, auf denen dieser Betrug stattfindet? Sie hüsteln und verweisen auf ihre AGBs, die so etwas verbieten. Mehr geschieht kaum. Denn der Marktwert auch dieser Unternehmen bemisst sich nach der Zahl ihrer Nutzer und deren Aktivitäten dort, ob echt, ob vermeintlich - egal. Was sagt der Geschäftsführer der "Follower-Fabrik" ( NY-Times) Devumi dazu? Er weist alles von sich. Die New Yorker Generalstaatsanwaltschaft interessiert die Story trotzdem: Sie will Ermittlungen wegen Identitätsdiebstahl aufnehmen.

© SZ vom 30.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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