Das Tableau der Ticks:Hallöchen, ich bin der Wahnsinn!

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Holla! Über 1111 Eintäge von fröhlichen Verzweifelten. Über 1111 Geständnisse kleinerer Absonderlichkeiten. Ein Panoptikum des stillen Irrsinns - und wir sind mitten unter Irren. Nein, nein! Wir sind sie. Wir sind viele. Denn wir alle müssen wohl einen an der Waffel haben.

bgr

Also, jetzt mal unter uns Gebetsschwestern. Sie sind alle gaga.

(Foto: N/A)

Wir sind alle gaga. Niemand ist gaga.

So einfach ist das: Denn wenn wir uns Ihre Ticks und klitzekleinen Neurosen anschauen, dann stellen wir fest: Die teilen wir doch alle. Na ja, nicht alle. Und vielleicht nicht ganz in dem Ausmaß ...

Nehmen wir doch mal Beichte Nr. 1110: "Die Griffe der Tassen müssen auch bei mir immer nach rechts zeigen. Sieht einfach ordentlicher aus!" Bitte, wer von uns würde dem widersprechen wollen. Sorgen macht nur: "auch bei mir". Bei wem denn noch?

Oder 996: "Wenn ich ein Buch in der Hand habe, muss ich es durchblättern und dabei an den Seiten riechen." Ja doch, das ist doch bei uns allen so - bis auf das Riechen. Viele von uns lesen auch einfach nur.

Oder, was sagt man diesem Menschen (798) "Ich´kann kein Klopapier kaufen und dann unterm Arm nach Hause gehen...Wenn ich das bei anderen sehe, stelle ich mir bildlich vor wie diese Person auf dem Klo sitzt, dann denke ich andere stellen sich das mit mir auch vor." Sollte man ihm sagen, dass "die anderen" jetzt schon seit Jahrenzehnten denken, dass 798 auf dem Klo sitzt und anschließend kein Klopapier benutzt, weil man nie sah, dass er welches kaufte...?

Oder 567: "Immer wenn ich irgendwo ein Papier oder Formular ausfüllen soll und es wird nach meinem Geburtsdatum gefragt, schaue ich auf die Uhr und suche es." Soll man ihn heilen, indem man ihm rät, auf "Papier oder Formular" dann doch einfach die Uhrzeit einzutragen?

Welches Schicksal mag dieses Bekenntnis hervorgebracht haben (322)? "Ich muss immer gleich nach dem Essen den Tisch aufräumen. Einem Arbeitskollegen geht es genauso - zum Glück." Seit Tagen überlegen wir hier, was "322" unter Glück versteht? Dass sein Tischaufräumen besser von der Hand geht, weil in weiter Ferne auch einer den Tisch abräumt? Dass irgendwer den Tisch abräumt? Dass überhaupt Tische abgeräumt werden können? Wir wissen es nicht - und offen gestanden: Wir wollen es auch gar nicht wissen.

Fest steht nur: Sie sind ganz wunderbar gaga. Weniger wegen ihrer Spleens, sondern vielmehr, weil Sie ihre kleinen Absonderlichkeiten für IHRE Spleens halten. Denn, auch das fiel uns auf: Viele der Macken sind gar nicht so intim, wie man gedacht hat. Es finden sich alllerorten Mackengenossen im Geiste, die nicht auf Plattenfugen treten, die Kacheln zusammenzählen oder Zahlenakrobatik mit dem Lautstärkeregler treiben (319) und mit Fremdsprachen in ihren Köpfen jonglieren. Und, ja natürlich, ständig läuft in Deutschland irgendjemand zum 27. Mal zurück zu seinem Auto/seiner Wohnung, um festzustellen, ob sie abgeschlossen sind. (Und sie sind es - immer.)

Sehr inspirierend fanden wir auch jene Menschen, die Namen, Wochentage oder Menschen in Farben erinnern. Ein Supertick, der nebenbei auch manches Gesicht vergessen lässt. Ein Tipp übrigens auch für den Zeitgenossen, der immer Grimassen vor dem Spiegel schneiden muss (69).

Interessant auch die Bekenntnisse, dass jemand sich vor schlafenden Menschen fürchtet oder alte Menschen sieht oder Gesichter in Autos erkennen möchte. Interessant allerdings wohl nur für Fachärzte.

Wie dem auch sei: Wenn das alles ist, was die Deutschen an der Waffel haben, dann muss einem um dieses Land nicht bang sein. Oder doch....?

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