Das Programm der neuen Chefin:Frauenbewegt

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Die Münchner Kammerspiele wollen bespielt werden: Barbara Mundel (rechts) und Chefdramaturgin Viola Hasselberg stellen ihre Pläne vor. (Foto: C.D.)

"Mit starker internationaler Verbindung und dem Blick von außen": Barbara Mundel, die neue Intendantin, hat ihre Pläne für die nächste Spielzeit an den Münchner Kammerspielen präsentiert. Das älteste Stück ist Bernhards "Heldenplatz".

Von Christine Dössel

Da liegt er vor einem wie ein Versprechen: der Zuschauerraum der Münchner Kammerspiele. Leere Sitzplätze in einem Schatzkästchen von Theater, darauf wartend, gefüllt zu werden. Dies in der kommenden Spielzeit zu tun, tritt Barbara Mundel an, die neue Intendantin, die Matthias Lilienthal ablöst und das Haus, das lässt sich jetzt schon sagen, sehr viel weiblicher gestalten wird: viele Frauen, Autorinnen, weibliche Perspektiven. Auch auffallend viel Münchenspezifisches hat die 61-Jährige in petto, etwa "Habitat Munich", eine Tanzperformance von Doris Uhlich mit 30 Münchnern, in der "gängige Vorstellungen von Körper, Tanz und Nacktheit" gesprengt werden sollen. Oder "What is the city but the people?", eine Stadtraum-Performance auf dem Odeonsplatz mit gleich 150 Münchnern.

Literarisches von und zu Ernst Toller ("Eine Jugend in Deutschland"), Gisela Elsner ("Der Sprung vom Elfenbeinturm"), den Geschwistern Mann ("Gespenster - Erika, Klaus und der Zauberer"), ein Rechercheprojekt zum Oktoberfestattentat, eine Stückentwicklung mit dem Titel "Bayerische Suffragetten" - all das sind Versuche, Theater tatsächlich für die Stadt zu machen (und mit ihr), "aber immer auch mit starker internationaler Verbindung und dem Blick von außen", wie Mundel betont.

Ungeachtet dessen, dass Corona ihre Vorbereitungszeit jetzt ganz schön vermasselt hat und womöglich auch noch ihren Start im Oktober durchkreuzen wird, haben Mundel und ihr Team am Dienstag zu einer Spielplanvorstellung unter Krisenbedingungen geladen: virtuell übertragen im Internet, leibhaftig zugänglich für nur wenige Menschen, die auf der Kammerspiele-Bühne auf Stühlen im Halbkreis platziert wurden, mit Mundschutz, Abstand und sehsuchtsvollem Blick ins Parkett. Dass Mundel und ihre Chefdramaturgin Viola Hasselberg zunächst als Avatare in einem animierten Video auftraten, war ein netter Einfall, um ihr Ensemble vorzustellen, 30 Schauspieler und Schauspielerinnen aller Couleur (davon 12 aus dem alten Ensemble), die sich bisher noch gar nicht getroffen haben und fröhlich aus Zoom-Fensterchen winkten.

Drei der künftig vier festen Hausregisseure waren persönlich da: die junge, pop-feministische Pınar Karabulut, der mit Puppen arbeitende Jan-Christoph Gockel und der renommierte Regie-Autor Falk Richter, der mit der Uraufführung "Touch" die Kammerspiele im Oktober eröffnen soll - es handelt sich um eine große Tanz-Schauspiel-Produktion gemeinsam mit der Choreografin Anouk van Dijk. Die vierte Regisseurin im Hausquartett, Nele Jahnke, ist noch in Zürich, wo sie vom Theater Hora Schauspieler mit "geistiger Behinderung" mitbringen und mit ihnen arbeiten wird.

"Die Wirklichkeit nicht in Ruhe lassen", lautet das Motto der Spielzeit

Es ist ein Spielplan, der auf Gegenwart und öffentlichen Austausch zielt, der Fragen nach der Repräsentation stellt ("Wer darf für wen sprechen?") und das Sprechtheater um tänzerische, filmische, musikalische und auch digitale Formen erweitern will. Motto der Spielzeit: "Die Wirklichkeit nicht in Ruhe lassen". Mundel und Hasselberg benennen vier "Forschungsfelder": Demokratie und ihre Gefährdung, systematisch ausgeblendete Perspektiven, der Komplex Technik und Mensch sowie soziale Fragen. Wobei sie sich von der Corona-Pandemie nicht den Schneid abkaufen lassen, sondern kreatives Potenzial daraus schlagen wollen. Mundel findet, Corona sei wie ein "Kontrastmittel, das Probleme und Fragen, die wir haben, sichtbar macht und zuspitzt".

Der Schwerpunkt des Spielplans, das erstaunt ein bisschen, scheint auf tänzerischen Formen zu liegen. Aber es findet sich auch erfreulich viel zeitgenössische Dramatik, Stücke von Sivan Ben Yishai ("Liebe. Eine argumentative Übung"), Wolfram Lotz ("Die Politiker"), Nora Abdel-Maksoud ("Jeeps"), Clemens J. Setz ("Flüstern in stehenden Zügen"). Autorenarbeit wird groß geschrieben. Sprache sei ihr wichtig, sagt Mundel. Klassiker finden sich jedoch keine auf ihrer Agenda. Das älteste Stück ist "Heldenplatz" von Thomas Bernhard, Falk Richter wird es Anfang nächsten Jahres inszenieren. Interessant klingt die Ausgrabung des Familienromans "Effingers" von der in Vergessenheit geratenen Autorin Gabriele Tergit. Ein Roman, der zwischen 1870 und 1939 spielt und vom schleichenden Untergang einer bürgerlichen Welt erzählt, die im Faschismus endet. Jan Bosse wird inszenieren.

Mundel will "Gewohnheiten stören", "Bubbles durchstechen", "neue Sprachen und Sichtweisen entwickeln". Auch Kooperationen mit der freien Szene, der Münchner Schauburg und mit städtischen Institutionen wie der Monacensia sind geplant. Lustig könnte der multikulturelle Kiosk "Koy Koy" werden, der in der bisherigen Kassenhalle der Kammerspiele eingerichtet werden soll. Ein "postmigrantischer Mehrzweckladen" als "Knotenpunkt" mitten auf der luxuriösen Maximilianstraße. "Für alle, die auf der Suche sind nach Wahrheit, Schönheit, Glück und Unglück - mit aber auch ohne Maserati unterm Arsch", wie es in der Ankündigung heißt.

© SZ vom 20.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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