Das ist schön:Sitzenbleiber

Lesezeit: 1 min

Der Frühschoppen am Sonntag hat eine Daseinsberechtigung

Von Karl Forster

Zunächst das Nachrichtliche: An diesem Sonntag startet in der Gaststätte Fraunhofer zu München wieder die Saison des kulturellen Frühschoppens. Und zwar mit El Grupo Pinarson, das sind sechs Musiker aus der kubanischen Tabakstadt Pinar del Rio, die mit Son, Merengue, Rumba, Bolero und Guajira die herbstliche Kühle aus dem Wirtshaus vertreiben wollen. Und zwar von 11 Uhr vormittags an.

Und nun das Nachdenkliche: Hat in einer Zeit, in der geblockte Dates, Erinnerungsprogramme auf Smartphones und durchgetaktete Freizeitaktivitäten den einst heiligen Sonntag strukturieren, der Frühschoppen überhaupt noch eine Chance oder Daseinsberechtigung? Man muss das kurz historisch betrachten. Der Frühschoppen war, auf dem Land und zu Zeiten des beginnenden Wirtschaftswunders, Fluchtpunkt der Bauern, denen die sonntägliche Vormittagsmesse zu lange dauerte. Weswegen sie meist schon nach dem Agnus Dei die Kirche in Richtung Wirtshaus verließen, um mit Gleichgesinnten die Kunst des Schafkopfens auszuüben, bis die Mutter den Bub schickte, um den Vater heimzuholen, weil der Schweinsbraten fertig war. Mit der und nach der Studentenrevolte hielten dann Kultur und Intellekt Einzug in die Frühschoppen-Kneipen, meist ohne vorhergehenden Kirchenbesuch. Und parallel zur aufstrebenden Kleinkunst wurde die sonntägliche Vormittags-, Mittags- und Nachmittagskunst immer vielfältiger und auch dekadenter. Es kam die Zeit, da die Wirte kartenspielende Schafköpfe neben der Frühschoppenkultur nicht mehr dulden wollten, weil sie zu lange vor einem Bier sitzen blieben.

Und heute? Hie und da lädt man wieder zum Frühschoppen. Hie und da ist sogar Schafkopfen wieder erlaubt. Vielleicht hat der Retrotrend nach der Popmusik auch in der Gastrokultur wieder Platz gefunden. An diesem Sonntag jedenfalls wird im Fraunhofer nicht nur die Band aus Kuba aufspielen. Es werden Musiker aus der Stadt einlaufen mit ihren Instrumenten, und am Ende, wann immer das sein mag, wird auf der Bühne eine wilde Mischung aus Kuba und München und sonstwoher eine ebenso wilde Musik spielen. Weil es immer so war. Und das wird schön. Sehr schön.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: