Das ist schön:Ehrlich fährt am längsten

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Die Sprüche auf den Lkw des Residenztheaters sollen bleiben

Von Christiane Lutz

Wer mit offenen Augen durch München geht, kann immer mal wieder große Lastkraftwagen des Residenztheaters fahren sehen. Und wer sich auskennt, weiß, dass darin die Bühnenteile zwischen dem Theater und dem Lager in Poing hin und her gefahren werden. Man erkennt die Laster an den auf der Plane aufgedruckten Sprüchen, meist sind es aktuelle oder ehemalige Spielzeitmottos des Theaters. "Die Realität ist für diejenigen, die ihre Träume nicht aushalten", steht da beispielsweise. Poesie auf einem Nutzfahrzeug - welch schöner Kontrast. Diese Lastwagen haben bisher immer wie kleine Grüße gewirkt, ein kurzes, theatrales Zuwinken am Nachmittag mit der Verheißung von Großem, was einen am Abend im Theater erwarten könnte. Seitdem der Lkw allerdings zur Waffe von Terroristen gemacht wurde, wie in Nizza und Berlin, sind die Dinge komplizierter geworden.

"Die Erde ist gewaltig schön, doch sicher ist sie nicht", steht in großen Buchstaben auf einem dieser Resi-Laster. Der Satz, der eigentlich aus einem Schubertlied stammt und außerdem das Motto von Martin Kušejs erster Spielzeit vor sechs Jahren war, wirkt, 2017 gelesen, nun beinahe wie Sarkasmus, nein, wie eine Drohung, die sich jederzeit wieder in einer Untat entladen könnte. Ein Spruch, der seit Jahren durch die Stadt spazieren fährt, ist plötzlich provokant, für manche gar geschmacklos. Ein Spruch, der in Kombination mit dem Fahrzeug zur bitteren Realität geworden ist. Der Terror verändert auch unseren Blick auf lang Bestehendes. Wir haben dazugelernt, leider.

Trotzdem sollte sich das Residenztheater unterstehen, den Spruch von der gewaltig schönen, aber gefährlichen Erde ausgerechnet jetzt entfernen zu lassen. Denn das ist ja genau, was nicht geschehen darf: Dass wir unsere Gewohnheiten ändern aus Sorge vor dem, was passieren könnte. Die Deutungshoheit über die Poesie, über die Kunst muss bei denen bleiben, die etwas von ihr verstehen. Im Gegenteil, das Residenztheater soll so lang mit diesem Spruch durch die Lande fahren, bis ein Lastwagen auf der Straße keine potenzielle Gefahr mehr verheißt. Das wäre schön.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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