Das ist schön:Angelesen? Erlebt!

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Über die Déjà-vu-Freude beim Kulturgenuss

Von Karl Forster

Wer, das nur ein Beispiel, Jack Kerouacs "On The Road" gelesen hat, wird beim Besuch von San Francisco nicht darum herumkommen, im Café Vesuvio einen Bohemian Café zu schlürfen, und schon fühlt man sich wie Kerouac, der alte Beatnik. Wer, andersherum, schon ein paar Mal auf der griechischen Insel Kefalonia war und plötzlich auf den Film "Corellis Mandoline" stößt, entdeckt, bei allem Schrecken des Werks, das eine oder andere Fleckchen dieser kargen, aber heiß geliebten Insel wieder und leidet sofort unter markantem Fernweh.

Es ist immer ein besonderes Erlebnis, wenn man beim Genuss eines irgendwie kulturellen Angebots auf Bekanntes aus dem eigenen Leben trifft; sei es, dass man sich bei Joachim Meyerhoffs wundersamen "Lücken"-Buch an die eigene Zeit im Stadtviertel Nymphenburg erinnert oder bei Kerstin Deckers Biografie der Malerin Paula Modersohn-Becker ans grandiose Teufelsmoor von Worpswede denkt und an das fantastische Wirtshaus im dortigen Bahnhof. Und wurde man zur Jugendzeit noch so gequält mit Übungsstunden am Klavier: Tönt heute im Radio Glenn Gould mit Bachs "Italienischem Konzert", schalten Ohr Herz und Hirn auf "Wie ist das schön, wenn es einer kann". Und wie schrecklich das einst war.

Nun ist es so, dass man im Laufe des Lebens zwar zunimmt an Erfahrung, aber auch an körperlichen Unzulänglichkeiten, die einem geliebte Betätigungen mehr oder weniger unmöglich machen. Solche Erfahrung macht, wer das neue Buch des Münchner Autors Thomas Käsbohrer in die Finger bekommt. Der beschreibt unter dem Titel "Am Berg" die schwierige Arbeit von Männern und Frauen der Bergwacht. Das ist nun nicht unbedingt ein Werk, das für den Nobelpreis nominiert werden muss, aber zum einen in seiner Dramatik durchaus spannend, und zweitens sehr persönlich berührend, weil dort viele Berge vorkommen, die auch im Leben des hier wirkenden Autors eine Rolle gespielt haben. Vom Staufen zwischen Aufham und Bad Reichenhall, der 49 Mal bezwungen wurde, aber eben nicht 50 Mal, über den Blaueisgletscher des Hochkalter, an dem man mit dem Bergführer und Hüttenwirt Raphael Hang beim Gletscherstandplatz eine Zigarette geraucht hat, bis zum Watzmann, wo man auf der Wimbachgrieshütte einst einen bösen Rausch auszuschlafen hatte.

Solch ein "Weiß du noch"-Gefühl lehrt einen, über Vergangenes nachzudenken. Aber wenn durchs Lesen oder Schauen Erinnerungen wieder plastisch werden, ist das ein schönes Gefühl. Und wenn durch solch ein Buch der eine oder andere Bergwanderer seinen Leichtsinn verlöre, wäre das noch schöner.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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