Crosby und Nash in Berlin:So jung kommen wir nicht wieder zusammen

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Die Welt wäre besser, wenn es mehr Hippies gäbe: Graham Nash und David Crosby drehen bei ihrem Auftritt in Berlin am Rad der Zeit. Wir wissen nur nicht, in welche Richtung.

WILLI WINKLER

In den alten Zeiten, wo das Singen noch geholfen hat, erschienen die Lieder von Crosby, Stills, Nash & Young wie Botschaften aus einer anderen Welt.

Ann alle, die gerne Email an die Redaktion schreiben: Das kann diesmal unterbleiben. Denn wir wissen schon, dass dies kein Bild aus Berlin, sondern ein Bild vom "Farm Aid" in Bristow, USA, ist. Aber wir haben es trotzdem genommen. (Foto: Foto: ap)

Später nannte das jemand die "Gegenkultur", die sich allerdings kurz nach dem Festival von Woodstock 1969 in sehr viel Rauch aufgelöst haben muss. Ein Teil hat zweimal Bill Clinton zum Präsidenten gewählt, dann ist dieses bessere Amerika auch schon wieder verschwunden.

Aus dieser Abseite der Geschichte kommen die zwei Herren, die sich als Graham Nash und David Crosby vorstellen. Nash trägt inzwischen einen eisgrauen Pflanzer-Schnurrbart, mit dem er wie ein unteralkoholisierter William Faulkner aussieht. Crosby zeigt sich in einem burgundertiefroten Schwangerenzelt, in dem selbst die besten Frauen nicht einmal tot über den Zaun hängen möchten. Die beiden sind schon über sechzig, aber noch immer mit einer engelhaften Stimme gesegnet.

Es ist rührend, wie sie den erwarteten Beifall einheimsen, als sie sich zur "anderen Hälfte Amerikas" bekennen, mehrfach beteuern, dass sie sich für ihren Präsidenten schämten, den Crosby unter beifälligem Jubel von dreitausend meist gesetzteren Herrschaften mit leicht unterzähliger Damenbegleitung sofort einen "Hurensohn" nennt.

Weil sie keine "süßen Titten" vorzuweisen hätten wie Britney Spears, wäre es heute gar nicht mehr so einfach für sie, eine Platte aufzunehmen. Sie haben es natürlich trotzdem getan, und bei ihrer Tournee finden sie in Europa ein dankbares Publikum. Sie singen vom "militärischen Wahnsinn", den sie schon immer bekämpft haben, und leiten sogleich über zur Hippie-Hymne "Marrakech Express".

Man kommt sie anstaunen wie Wundertiere, die übrig geblieben sind aus den späten sechziger Jahren, als die Hippies in Woodstock begeistert im Schlamm badeten.

Damals war Ronald Reagan nicht bloß Gouverneur von Kalifornien, sondern, wie Joan Baez sang, noch schlimmer als der Ku Klux Klan. Das ist unvorstellbar lange her, und die alten Zauseln singen auch brav von "Long Time Gone" und schwärmen die Milchstraße an.

Dabei sind sie immer noch jünger als die schon immer alten Männer, die einst dem Präsidenten Reagan dienten und heute die Geschäfte des jungen Herrn Bush führen. Früher muss wirklich alles besser gewesen sein, denn heute entdeckt eine unverwüstliche "moralische Mehrheit" anlässlich eines neuen Films, dass der Verhaltensforscher Alfred Kinsey sich mit Sex beschäftigt und sogar die Möglichkeit erwogen hat, dass der noch zu mehr als zur Fortpflanzung dienen könnte.

Zumindest Crosby hat das Seine für die Erhaltung der Art getan. Jeder kennt die Geschichte, wie Crosby, nachdem er sich über Jahrzehnte alles an Drogen reingetan hatte, was erlaubt und verboten war, schließlich mitten in einem paranoiden Schub und mit einer geladenen Knarre auf der Autobahn verhaftet wurde.

Die Gefängnisstrafe und eine Lebertransplantation bewahrten ihn vor dem sicheren Tod. Im Krankenhaus tauchte ein junger Mann namens James Raymond auf, der sich als sein verlorener Sohn aus den Sechzigern zu erkennen gab.

Nebenbei spendete Crosby einem lesbischen Paar seinen Samen, so dass der Pappa Bär mit seinen wallenden grauen Haaren ein richtiger, wenn auch nicht bibeltreuer Stammvater geworden ist.

Wer überlebt hat, geht querfeldein, sagt Herbert Achternbusch, und die beiden Überlebenskünstler Crosby und Nash singen "Déjà Vu", als könnten sie noch mal zurück auf Anfang.

Schelmisch zupft Crosby auf seiner Gitarre den ersten Akkord von "Mr. Tamburine Man", mit dem seine alten Byrds einmal aufstiegen, aber das genügt dann schon als Anspielung an alte Zeiten. Mit ihrem Gitarristen Dean Parks, der den ewig unzuverlässigen Stephen Stills ersetzen muss, spielen sie "Guinnevere", gewidmet einst einer Freundin, die vom Auto überfahren wurde.

Noch immer erkennt sich jede Frau in den blonden Haaren und grünen Augen wieder.

Die Märchenstunde klingt in der klassischen Coda aus der Frühgeschichte der Supergruppe Crosby, Stills, Nash & Young aus: "Almost Cut My Hair", "Wooden Ships", "Our House" und schließlich und unvermeidlich "Teach Your Children", bei dem wie zum Abschluss eines Wandertages fast die ganze Halle mitsingt.

Es ist eine Botschaft, die bei der Sicherheitskonferenz in München nicht satisfaktionsfähig wäre, aber das kümmert die Hippies doch nicht. Die Kinder, singen sie im harmonischen Zwiegesang, sollen helfen, ihre Eltern zu erziehen, vielleicht dass sich diese Hölle dann doch überstehen lässt.

Das war eine Erinnerung an die Zeit, als das Singen noch geholfen hat, an einem winterlichen Abend in einer Scheune am Spreeufer. Der Schnee trieb fett und nass übers Wasser, eine braungestreifte Katze übte Sprints im frischbelegten Rasen, und, ja, die Welt wäre besser, wenn es mehr Hippies gäbe.

Nash & Young geben noch ein Konzert in Düsseldorf am 16.2.

© SZ v. 15.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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