Chiffren für das Regime:Der Kontrakt des Zeichners

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Der neue CCTV-Tower in Peking ist ein denkwürdig großartiges Bauwerk. Er lässt sich aber auch als Höhepunkt der Diskussion um die "Bauten des Bösen" begreifen.

Gerhard Matzig

Seit sich Wolf Prix vom Wiener Büro Coop Himmelb(l)au in der Süddeutschen Zeitung zum Thema "Bauten des Bösen" geäußert hat, erlebt Deutschland eine beispiellose Architekturdebatte. Gerade die deutschen Gestalter sind immer öfter im Ausland erfolgreich: Sie bauen in China, Russland, Vietnam oder Libyen.

Architekten wie Zaha Hadid, Norman Foster oder Rem Koolhaas aber sind schon längst im globalen Maßstab tätig. Doch nicht jeder Bauherr darf als lupenreiner Demokrat gelten - nicht einmal im biegsam Schröderschen Sinn.

Darf man also auch für Tyrannen und Despoten oder für ein autokratisches Regime Bibliotheken, Stadien, Büro-Hochhäuser oder gar Parlamente und Repräsentationsbauten errichten? Oder soll man sich als Architekt verweigern?

"Wir bauen nicht in China"

Damals, im Januar 2007, hatte Prix der SZ gesagt: "Wir bauen nicht in China oder Dubai." Später zog Christoph Ingenhoven nach. Auch er bekannte: "Ich baue nicht in China." Ebenso Daniel Libeskind: "Ich baue nicht für totalitäre Herrscher." Und schließlich Stefan Behnisch: "Wir bauen nicht für nicht-offene Gesellschaften."

Andere Architekten, Meinhard von Gerkan, Albert Speer oder Gunter Henn zum Beispiel, widersprachen dem Gestus der Empörung. Und aus dem Büro Libeskind ist gar zu erfahren, dass man beides gleichzeitig tun kann: sich über China empören und bauen für China. Aber natürlich nicht für das böse Peking, sondern nur für das gute Hongkong, wo Libeskind zur Zeit ein Kreativ-Medienzentrum hochzieht.

Auf interessante Weise schillerndes Gut

Die Moral am Bau: das scheint ein bewegliches, auf interessante Weise schillerndes Gut zu sein. Der Spiegel beschrieb die von Prix angestoßene Diskussion zuletzt als "größte Feuilleton-Debatte des Frühjahrs".

So weit muss man nicht gehen. Aber wenn man nun in Peking vor dem CCTV-Tower steht, dann lässt sich der kühn konstruierte Turm, der in wenigen Wochen vollendet und bis zur Olympiade im August bezogen sein wird, auch als Höhepunkt und Abbild der gesamten Diskussion um die "Bauten des Bösen" begreifen.

Wie bei keinem anderen Bauwerk stellt sich hier die nur von der Zukunft beantwortbare Frage, ob Architektur etwas zur Öffnung einer Gesellschaft beitragen kann. Denn der Turm wurde für das chinesische Staatsfernsehen CCTV (China Central Television) errichtet, für ein Medium also, das wie kein anderes dazu bestimmt ist, Macht auszuüben: die Macht der Fernsehbilder.

Die Wahrheit ist die des Fernsehens

Das, was ein Sechstel der Menschheit denkt und fühlt, wird hier programmiert und verwaltet. Ob man in Tibet die Schädel unschuldiger Mönche zertrümmert hat - oder ob man sich den aggressiven Sabotageaktionen gefährlicher Separatisten erfolgreich in den Weg stellen konnte: die Wahrheit ist die des Fernsehens, das Journalismus ebenso wie Propaganda senden kann.

Der Turm, entworfen von Rem Koolhaas, einem der einflussreichsten Architekten unserer Zeit, weist deshalb weit hinaus über seine Bedeutung als Verwaltungs- und Produktions-Bau: Er ist von zeichenhafter Größe.

Koolhaas hat nicht nur ein weiteres Hochhaus in einer Megacity entworfen; er hat ein Signum der Macht im Zentrum der Macht erbaut. Der - offiziellen Angaben zufolge - 850 Millionen Euro teure Bau (der somit zu den teuersten Projekten der Gegenwart zählt), wird sich auch aus ästhetischen und bautechnischen Gründen in die Baugeschichte einschreiben. Die Symbol-Architektur ist aber auch von politischer Bedeutung.

Auf Anhieb gefesselt

Das darf man nicht vergessen, obgleich der Bau wie keine andere Architektur dazu fähig ist, das Vergessen zu befördern. Wer endlich die haushohen Bauzäune überwunden hat, um eines der spektakulärsten Bauwerke der Gegenwart in den Blick zu nehmen, wird von der suggestiven, weit in die Stadt abstrahlenden Raumwirkung auf Anhieb gefesselt.

Inmitten des zerklüfteten und vom Verkehr umtosten Stadtraums des stetig wachsenden Central Business District erhebt sich ein Gebäude von Piranesi-hafter, aber auch skulptural anmutig wirkender, räumlicher Vieldeutigkeit.

Strahlkraft und Präsenz eines jeden Bauwerks ergeben sich aus der Dreidimensionalität: Sie ist es, die Rem Koolhaas hier auf unnachahmliche Weise jenseits aller Typologie zelebriert. Der Turm ist eine einzige kantige Röhre, die mehrfach gefaltet und wie eine Endlosschleife wieder zusammengeführt wurde.

Die Magie der Statik

Man kann sich den Bau vorstellen, als sei ein Hohl-Quader von gigantischen Kräften eingedrückt und aus der gemeinsamen Ebene verschoben worden: der obere Raumabschluss, auf Ebene 37, in eine andere Richtung als der untere.

Zwei über Eck verbundene L-förmige Türme ragen jetzt schräg in die Höhe und fügen sich durch brückenhafte Winkelbauten zusammen. Auf diese Weise ist keine weitere Höhendominante entstanden, sondern ein "nur" 234 Meter hohes, komplex organisiertes Gebilde, das die Geschichte der hohen Häuser um ein intelligentes Kapitel bereichert.

Das gilt auch für die Statik, denn die gewaltigen Lasten werden von einem tragenden Netz aufgenommen, das den Baukörper wie ein engmaschiges Gitter umhüllt.

Die Statik zeigt sich hier geradezu als ihr Gegenteil: als Dynamik. Die diagonal angeordneten Druck- und Zugstützen überziehen das Gebäude mit dramatischen Schnittmustern, die jedoch nicht beliebig und ornamental sind - sondern den Kräftefluss ahnen lassen. Ohne Großrechner sind solche Raumschöpfungen nicht mehr denkbar.

Im Inneren des Wolkenbügels erstrecken sich Büros, Produktionsräume und der Weg eines "visitor's loop". Wagemutige können durch verglaste Aussparungen im Boden der horizontalen Bauteile aus 162 Meter Höhe nach unten blicken. Dorthin, wo sich erst in Zukunft zeigen wird, wie die Architektur jenseits ihrer Ästhetik wirkt.

© SZ vom 03.05.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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