"Cancel Culture":Geteilte Bühne

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Navid Kermani hat zwei junge Kollegen gescholten, anonym gegen die Kabarettistin Lisa Eckhart vorgegangen zu sein. Jetzt wehren sie sich.

Von Marie Schmidt

Die beiden Schriftsteller, die zu Beginn des Literaturfestivals Harbour Front in Hamburg am Mittwoch von ihrem Kollegen Navid Kermani scharf gescholten worden sind, haben sich zu Wort gemeldet. Kermani hatte sich in einer Ansprache zur Eröffnung des Festivals an sie gewandt, sagte aber, er kenne ihre Namen nicht, weil sie sich nicht öffentlich geäußert hatten. Sie seien für die viel diskutierte Ausladung der Kabarettistin Lisa Eckhart verantwortlich, die wie sie mit ihrem Debütroman für den Klaus-Michael-Kühne-Preis nominiert war. Der wird im Zuge des Festivals vergeben: "Ihre Weigerung, mit Frau Eckhart auf einer Bühne zu stehen, gilt nicht dieser oder jener Aussage, sie gilt nicht der Kabarettistin, sie gilt dem Menschen, den Sie für verächtlich erklärten." Schließlich mahnte Kermani, wir sollten uns dagegen verwahren, uns als Feinde zu betrachten, sonst riskierten wir "Zustände wie in einem Bürgerkrieg."

Dagegen, und gegen den Vorwurf, anonym vorgegangen zu sein, verwahren sich nun auf ihren Social-Media-Kanälen Benjamin Quaderer ("Für immer die Alpen", Luchterhand) und Sebastian Stuertz ("Das eiserne Herz des Charlie Berg", btb). "Meine Haltung war nie ein Geheimnis. Ich wurde nur nie danach gefragt", schreibt Quaderer. Nachdem er erfahren habe, dass die Nominierten des Preises jeweils in Zweier-Kombinationen auftreten sollten und er mit Lisa Eckhart auf der Bühne stehen würde, habe er sich mit ihren Auftritten beschäftigt und beschlossen: "Ich wollte und will kein Teil davon sein." Er habe sich also vom Wettbewerb zurückgezogen: "Ich wiederhole: meine eigene Teilnahme. Nicht die von Lisa Eckhart. Das war an keine Bedingungen geknüpft, also nicht: ich oder Lisa Eckhart." Nachdem ihm die Organisatoren des Festivals angeboten haben, in einer anderen Paarung aufzutreten, nimmt Quaderer jetzt doch an dem Wettbewerb teil.

Eckhart wurde schließlich wegen angeblicher Drohungen ausgeladen

Sebastian Stuertz berichtet, sein Debütroman sei in der Corona-Krise erschienen und habe deshalb wenig Aufmerksamkeit erfahren. Und auch bei einem Auftritt mit einer provokativen Autorin wie Eckhart "würde ich vermutlich nur eine Randfigur darstellen". Diese Bedenken habe er der Festivalleitung mitgeteilt, und man habe ihm angeboten, die Lesungen zu teilen: "Im Grunde bestand der Unterschied nur darin, dass wir im Internet getrennt angekündigt wurden und uns die Bühne nicht hätten teilen müssen". Weiter schreibt Stuertz: "Ich habe sie weder ,zur Unperson erklärt', noch habe ich verlangt, dass sie ausgeladen wird - ich habe mich lediglich darüber gewundert, dass sie eingeladen wurde." Ausgeladen wurde Lisa Eckhart schließlich, nachdem der Veranstaltungsort, der Hamburger Nochtspeicher, angeblich Drohungen wegen ihres Auftritts erhalten hatte, die sich nachher als vage "Warnungen aus der Nachbarschaft" herausstellten.

Beide Autoren wenden sich gegen Kermanis Bürgerkriegsanalogie: "Geht es nicht eine Nummer kleiner, Herr Kermani?", schreibt Stuertz. Und Quaderer: "Überhaupt fände ich es gut, wenn man in dieser Debatte ein paar Gänge zurückschalten könnte. Das hieße dann auf Begriffe wie ,Bürgerkrieg' und ,Weimarer Verhältnisse' zu verzichten."

© SZ vom 12.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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