1969 haben sich die Amerikaner auf dem intergalaktischen Parkett einwandfrei benommen. Kein Großmannsgebaren, keine Cowboyallüren. Gut, Neil Armstrong und Edwin Aldrin haben Stiefel, Urinbeutel und Essensverpackungen auf dem Mond gelassen und eine amerikanische Fahne in den jahrmilliardenalten Staub gepflanzt; die fiel aber schon beim Abflug wieder um. Ansonsten haben sie nur eine Plakette angebracht, auf der zu lesen war: "Wir kamen in Frieden für die ganze Menschheit." "Nojo dann", sagten die Seleniten, als sie nach dem Abflug der Erdlinge wieder aus ihren Höhlen kamen, "sollen sie auch in Frieden wieder gehen". Ob es diesmal auch so glimpflich abgehen wird?
Jetzt wird George Bush seinen Landsleuten das Blaue vom Himmel versprechen. In einer Rede an die Nation will er Marsflüge und eine dauerhafte Besiedlung des Mondes ankündigen. Besiedeln? Ja, darf der denn das? Armstrong und Aldrin wussten schließlich, warum sie so kommod auftraten. Sie hätten sonst juristische Probleme bekommen: Seit 1967 gibt es den von 98 Staaten ratifizierten "Weltraumvertrag". Darin wird das internationale Benehmen im All reglementiert. Alle Raumfahrer sind dem Vertrag zufolge "Boten der Menschheit", kein Staat darf je planetarische Besitzansprüche anmelden. Und militärische Übungen sind "auf allen Planeten, Monden und Asteroiden verboten".
1979 wurde noch ein "Mondvertrag" aufgesetzt, der freilich etwas daran krankt, dass er nur von zehn Nationen ratifiziert wurde, die in Sachen Weltraumfahrt nicht ganz vorne mittun. Die anderen wollten bisher nicht recht, denn der Vertrag verpflichtet die Unterzeichner dazu, "den Nutzen ihrer Missionen mit allen anderen Nationen zu teilen". Kein Wunder, dass Marokko und Österreich ratifiziert haben, die USA aber nicht.
Dennis Hope haben all die internationalen Verträge nicht weiter angefochten: Der kalifornische Geschäftsmann ging 1980 zum Grundbuchamt von San Francisco, um sich als Besitzer aller extraterrestrischen Planeten und Monde unseres Sonnensystems eintragen zu lassen. Dabei zitierte er ein Gesetz aus der Wildweltzeit, demzufolge herrenloses Land umstandslos annektiert werden darf. Hope verkauft den Mond seither parzellenweise über seine Firma "Lunar Embassy". Ein Mondgrundstück von 4000 Quadratmeter "garantiert mit Erdaussicht" kostet inklusive Urkunde 22,49 Dollar zuzüglich 1,51 Dollar "Mondsteuer". Jimmy Carter und Ronald Reagan haben bei ihm schon genau so Land erworben wie die Hotelketten Marriott und Hilton. Der Londoner Architekt Peter Inston stellte kürzlich Pläne für das "Lunar Hilton" vor, ein riesiges Wellnesszentrum am Rande eines Kraters, mit Vergnügungspark und Schwimmbad. Bisschen wird man noch daran feilen müssen, momentan kostet jedes Kilogramm Material, das ins All transportiert wird, 20000 Dollar. Kostenpunkt für ein Vollbad wären demzufolge eine Million Dollar. Hilton schweigt sich denn auch über die voraussichtlichen Zimmerpreise aus.
Als der westfälische Rentner Martin Jürgens von Hopes intergalaktischem Husarenstück erfuhr, schrieb er ihm einen geharnischten Brief, was ihm denn einfalle, sein kosmisches Familiensilber zu verscherbeln. Er, Jürgens, sei seit Jahr und Tag Besitzer des Mondes. Zum Beweis schickte er eine Urkunde vom 15. Juli 1756 mit, die Friedrich der Große seinem Vorfahren, dem Schwedisch-Pommern Aul Jürgens ausgestellt hatte und in der er diesem "als Zeichen höchster Dankbarkeit" den Mond als Geschenk vermachte. Aul Jürgens war nach königlichem Dafürhalten "ein Heilkräftiger, der die Fähigkeit hatte, die in den Menschen schlummernden Gotteskraft zu wecken." Friedrich glaubte fest daran, dass Jürgens ihm dabei geholfen hatte, den Siebenjährigen Krieg zu gewinnen. Prosaische deutsche Gerichte machten dem Hoheitsrecht seines Nachkommens aber ein Ende: Laut internationalem Weltraumrecht gelte das im Weltraumvertrag von 1967 verankerte Besitzverbot auch für Privatpersonen, dekretierten sie.
Aber mal abgesehen vom somit unangefochtenen "Marktführer des extraterrestrischen Grundstücksmarktes" (Hope über Hope) - das eigentliche Problem bei Bushs Besiedelungsplänen werden natürlich die Seleniten sein. Zwar haben die Amerikaner sie bei ihren Ausflügen nicht zu Gesicht bekommen. Doch schon Lukian wusste, dass es da oben feinstoffliche Wesen gibt: "Die Seleniten werden nicht von Weibern sondern von Männern gebohren; denn hier heurathen die Männer einander, und das weibliche Geschlecht ist ihnen etwas unbekanntes. Ihre Leibesfrucht tragen sie nicht wie die Weiber bey uns, sondern in der Wade. Wenn ein Selenit alt worden ist, so stirbt er nicht, sondern zerfließt, wie Rauch, in der Luft. Die ganze Nation hat nur einerley Art sich zu nähren: sie braten nehmlich Frösche auf Kohlen, setzen sich um den Herd, wie sie gebraten werden, wie um einen Tisch her und schlurfen den aufsteigenden Dampf ein. Wenn sie trinken wollen, so drücken sie Luft in einen Becher aus, der auf diese Weise mit einer dem Thau ähnlichen Feuchtigkeit angefüllt wird. Bey einer so feinen Nahrung wissen sie nichts von den Excretionen, denen wir unterworfen sind; sie sind auch nicht an eben dem Orte gebort wie wir, sondern haben (zu dem angedeuteten Gebrauch) eine Öfnung in der Kniekehle."
Obwohl auch Cyrano de Bergerac und Johannes Kepler in Erzählungen von Mondbewohnern berichteten, brauchte die Wissenschaft noch bis ins 19. Jahrhundert, um erste Beweise für ein Leben auf dem Mond zu liefern: 1822 fand ein Münchner Astronom eine 35 Kilometer lange, symmetrische Stadt am Südpol des Mondes. Und 1923 jubelte ein Harvardprofessor, er habe im Krater Eratosthenes Schwärme von riesigen Insekten entdeckt, die zwischen Brutplätzen und Weidegründen hin- und herwandern wie weiland die Bisons. Aber ob nun Seleniten oder Insekten: Sie alle haben uns voraus, dass sie aus der intergalaktischen Ferne die Erde mehr bewundern als wir.
Denn für uns war die Erde zwar immer empirische Gewissheit. Sinnenfällige Realität aber ist sie den Menschen erst mit der Raumfahrt geworden. "Die Satellitenoptik", schreibt Peter Sloterdijk, "ermöglichte eine kopernikanische Revolution des Blicks. Seit den sechziger Jahren ist dank der Satelliten eine umgekehrte Astronomie entstanden, die nicht mehr den Blick vom Erdboden zum Himmel richtet, sondern einen Blick vom Weltraum aus auf die Erde wirft." Eigentlich, so kann man das zusammenfassen, wurde auf der Fahrt zum Mond die Erde entdeckt. James Irwin, der 1971 mit der Apollo 15 zum Mond flog, schrieb später: "Die Erde erinnerte uns an eine in der Schwärze aufgehängte Christbaumkugel. Schließlich schrumpfte sie auf die Größe einer Murmel, der schönsten Murmel, die du dir vorstellen kannst."
So ist Bushs Vorhaben in erster Linie als Projekt der Herzensbildung zu verstehen: Wer aus der kalten Schwärze des Alls, aus der stillen, 15 Meter dicken Staub- und Trümmerschicht, die den Mond bedeckt, auf den blauen Tropfen herabschaut, auf dem er zuhause ist, der wird geläutert zurückkommen. So sollte in den Mondvertrag aufgenommen werden, dass, wenn die Amerikaner da oben ihre Station und das Hilton die lunare Dependance fertighaben, alle Umweltsünder und sonstigen Ignoranten für ein paar Wochen in die staubige, graue Stille geschickt werden, auf dass sie ihre ferne Erde lieben lernen. Und sie werden in ihrer Suite Frösche auf Kohlen braten und ihr schlechtes Wesen wird zerfließen wie Rauch in der Luft.