Burgtheater Wien:Formstreng, schmerzfrei

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Chorvortrag mit geliebten Burgschauspielern: Elfriede Jelineks Flüchtlingsdrama "Die Schutzbefohlenen" in Wien.

Von Till Briegleb

Ausstaffiert in einem schwarzen Kleid von der Größe eines Bootes steht Almirena am künstlichen Ufer und singt "Lascia ch'io pianga mia cruda sorte". Man ist zwar in Wien, wohin diese wunderschöne Arie von Georg Friedrich Händel eigentlich passt, aber nicht in der Oper. Und dies ist auch nicht dessen Bühnenwerk "Rinaldo" von 1711, sondern eine verzwickte Bildungsbürger-Pointe.

Denn das Lied aus Händels Singspiel über interreligiöse Liebe während der Kreuzzüge gegen die Sarazenen ist hier der atmosphärische Höhepunkt in Michael Thalheimers Inszenierung von Elfriede Jelineks Flüchtlingsdrama "Die Schutzbefohlenen" am Wiener Burgtheater.

Doch ist der Arientext, "Lass mich beweinen mein grausames Schicksal", keine Aussage im Namen der "Refugees", die im Hintergrund im Wasser stehen und schweigen. Es handelt sich hier um einen zynischen Kommentar zur österreichischen Asylpolitik. Die Sängerin soll Anna Netrebko sein, die Austrias Staatsbürgerschaft für ihren schönen Gesang bekommen habe, während Asyl suchende Menschen aus Bürgerkriegsländern täglich von Abschiebung bedroht sind und ihre Talente gar nicht erst zeigen dürfen. Denn ihnen ist Arbeit gesetzlich verboten.

Diesen dann doch etwas komplizierten Scherz über das "grausame Schicksal" der russischen Sopranistin versteht man nur mit einem breiten zentraleuropäischen Bildungshorizont, nach vorheriger Beschäftigung mit Elfriede Jelineks Dramentext und den Fallstricken der österreichischen Asylpolitik. Doch passt diese Hochkulturlösung perfekt zu einer Inszenierung, die Jelineks sarkastische Klage über die Unmenschlichkeit der europäischen Abschottung mit ästhetischer Formstrenge zu bewältigen versucht.

Thalheimers Bühnenbildner Olaf Altmann hat eine Kirchenschachtel mit großem Lichtkreuz im Hintergrund gebaut, nur schwappt darin eben kniehoch das Mittelmeer - weswegen der schwarze Raum auch eher ein Sarginneres darstellen dürfte. Die Schutzbefohlenen sind trauerschwarz gekleidete Weiße, die rhythmisch als Chor sprechen. Der konkrete Bezug zum täglichen Kampf um Zugang und Zugehörigkeit, den Flüchtlinge auf ihrem "Kreuzweg" nach Europa führen müssen, ist verbannt oder ästhetisch verklärt.

Regisseur Michael Thalheimer überhöht Jelineks Sprachspiele auch noch ins Opernhafte

So trägt der Chor, der sich anfänglich in dem Wasserbecken herumwirft, Masken aus bunten Einkaufstüten (Kostüme: Katrin Lea Tag). Das soll vermutlich ein Gleichnis sein darauf, dass wir Europäer die Bootsflüchtlinge im Meer versinken lassen wie unseren Plastikmüll. Tatsächlich aber schafft die bunte Maskerade eher das Bild von komischen Aliens oder erinnert an die untoten Piraten aus "Fluch der Karibik": Fetzenwesen, die auf dem Meeresgrund laufen.

Gerade im Vergleich zur Uraufführung des Stückes durch Nicolas Stemann, die rund ein Jahr vor der österreichischen Erstaufführung in Mannheim stattfand, vermeidet Thalheimer alle Brüche, Konfrontationen und schwierige Annäherungen an die Realität. Arbeitete Stemann mit echten Flüchtlingen, die ihre Anliegen vortragen, mit plakativen Setzungen wie einem Grenzzaun auf der Bühne, sowie mit der Ausstellung von Verständnis- und Übersetzungsproblemen, die am Ende mehr Verlegenheit als Erkenntnis produzieren, so wählt Thalheimer nur Reduktion, um eine klare Aussage zu formulieren.

Dazu sucht die Textfassung von Dramaturg Klaus Missbach das Naheliegende in der Sprachvorlage Jelineks. Und das Naheliegende ist hier nur eine Tramstation vom Burgtheater entfernt: Die Wiener Votivkirche wurde im Dezember 2012 zum Ausgangspunkt eines Konflikts zwischen Flüchtlingen und der Wiener Politik, den Jelinek zum Anlass für ihren Text nahm. Missbach und Thalheimer konzentrieren sich auf die Wiedergabe der Geschehnisse um die Kirchenbesetzung, wie sie in Jelineks Text anklingen, sowie auf den ironischen Ton, mit dem die Schutzsuchenden das europäische System traktieren.

Diese Ansprache an die Burgtheater-Österreicher, denen stellvertretend Unmenschlichkeit und christliches Versagen vorgeworfen wird, ist wegen des totalen Kunstanspruchs natürlich eine ziemlich schmerzfreie Angelegenheit. Der Chorvortrag durch die geliebten Burgschauspieler, der in pathetisch schwarzem Rahmen über das grausame Schicksal der Refugees berichtet, macht die Distanzierung zur eigenen Beteiligung an dem Konflikt herzlich leicht. Das ist auch ein Problem von Jelineks Text, der ziemlich einseitig mit den Argumenten der Flüchtlinge spricht und dabei so tut, als gäbe es den Versuch einer ernsthaften Lösungsfindung in den europäischen Gesellschaften nicht. In Oberhausen, bei einer der vielen aktuellen Inszenierungen des Stückes, hat Regisseur Peter Carp deshalb die Ich-Perspektive durch die dritte Person ersetzt, weil das Stellvertreter-Spielen mit Jelineks Sprache so unangemessen und künstlich wirken kann.

Doch Michael Thalheimer überhöht Jelineks Sprachspiele von Protestformen eben auch noch ins Opernhafte, ins Kunstvolle. Aus seiner Beschränkung auf Theatermittel gewinnt er am Ende nur eine schlichte Aussage: "Habt Erbarmen!" Für diese Tempel-Botschaft gab es bei der Premiere am Wochenende viele "Bravos".

© SZ vom 31.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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