Bühnenadaption:Vom Leben kosten

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Bibiana Picado Mendes adaptiert den hochgelobten Roman "Auerhaus" von Bov Bjerg in Augsburg

Von Christiane Lutz, Augsburg

Die Jugend ist schrecklich. Und schrecklich schön. Und weil so ziemlich jeder Erwachsene mal eine Jugend hatte, kann sich auch so ziemlich jeder an diese Zeit erinnern. Das erklärt wenigstens zum Teil, warum Coming-of-Age-Romane wie Wolfgang Herrndorfs "Tschick" so große Erfolge sind. Bov Bjergs "Auerhaus" (Blumenbar 2015) entzückte sogar Maxim Biller, der im "Literarischen Quartett" eine Hymne auf das Buch hielt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Theater das Potenzial dieses Romans entdecken würden. "Tschick" gehört ja längst zu den meistgespielten Stücken der vergangenen Jahre.

Das Theater Düsseldorf sicherte sich die Uraufführung, das Deutsche Theater in Berlin zieht im März nach. Am Theater Augsburg hat jetzt die junge Regisseurin Bibiana Picado Mendes den Stoff für den Hoffmannkeller adaptiert. "Auerhaus" erzählt die Geschichte einer WG in der schwäbischen Provinz in den Achtzigerjahren. Ein paar Freunde ziehen kurz vor dem Abitur in das leere Haus von Frieders Opa ein, um sich gemeinsam um Frieder zu kümmern. Der hat einen Selbsttötungsversuch sowie den anschließenden Aufenthalt in der Psychiatrie überlebt. Es folgt eine Zeit voller Sorglosigkeit und gelebter Exzesse, voller Dummheiten und tiefer Freundschaft. Es folgt das Erwachsenwerden.

"Ich erinnere mich", sagt Regisseurin Mendes, "als ich zu Hause ausgezogen bin, mit 19, kaufte ich mir zuerst eine Tafel Haselnussschokolade. Dann warf ich die Haselnüsse weg und aß nur die Schokolade. Um zu beweisen, dass ich nur noch das esse, was ich will." Inzwischen ist sie 31 und der Trotz ist verflogen. Auch bei ihr war es die Erinnerung an eine hoch emotionale Jugendzeit, die sie vom Stoff überzeugte. "Diese Aufbruchstimmung kurz vor dem Abitur, das Achtzigerjahre-Setting, dieses einander annehmen, wie man ist, das finde ich gut", sagt sie. Gemeinsam mit ihrer Dramaturgin erarbeitete Mendes eine Bühnenfassung, strich ein paar Figuren und verdichtete damit die Beziehungen der anderen vier, als da sind Frieder, Höppner (aus dessen Perspektive das Buch geschrieben ist), seine Freundin Vera und der homosexuelle Harry, ein Zaungast in der WG und der einzige, der eine Lehre statt Abitur macht. Die WG findet schnell zu einem verhältnismäßig geordneten Alltag. Erwachsene kommen in dieser Inszenierung nur als Stimmen aus dem Off vor.

In der Enge des Hoffmannkellers ist der Zuschauer so nah am Geschehen dran, als wäre er selbst Mitbewohner. Auf einem versifften WG-Boden liegt eine dreckige Matratze, die zum gemütlichen Mittelpunkt des Zusammenlebens wird. Man ernährt sich von Abscheulichkeiten wie dem Süßwein Imiglykos und allem, was Frieder im Supermarkt so klauen kann. Viel gibt die knappe Haushaltskasse nicht her, aber egal. In eineinhalb energiegeladenen Stunden erleben die Freunde Spieleabende, verpassen den Schulbus, scheitern am Geschlechtsverkehr und feiern eine eskalierende Silvesterparty. Alles in Achtzigerjahre-Ausstattung, inklusive Samthaarband.

"Damals hatte alles so eine immense Wichtigkeit. Die Freude war riesig, die Trauer war riesig", sagt Mendes. Sie ist in Mannheim aufgewachsen beschreibt ihre Abiturzeit so: Mit Freunden Lagerfeuer am Neckar machen und Beatles-Songs hören. "Auch ich wollte anders sein, so wie alle anders sein wollten."

Für sie geht es in Auerhaus vor allem um dieses Anderssein-Wollen und die Konflikte, die das Erwachsenwerden mit sich bringt. "Jede der Figuren kämpft auf ihre Weise damit und sucht einen eigenen Umgang damit." Höppner beispielsweise entscheidet sich, alle Vorladungen zur Musterung (das gab es damals noch) zu ignorieren, weil er keine Lust auf Wehrpflicht hat. Harry entscheidet, sich am Bahnhof zu prostituieren und mit Drogen zu dealen. Vera saugt lebenshungrig jeden Moment, jede Erfahrung auf. "Birth, school, sork, death", darauf verkürzen die Freunde, halb im Scherz, halb im Ernst, ein Menschenleben. Geburt, Schule, Arbeit, Tod. Davor fürchten sie sich, das wollen sie verweigern. Aber natürlich wollen sie trotzdem das Abitur schaffen.

Der Zuschauer, der Leser aber weiß die ganze Zeit von Frieders Suizidversuch, der immer wieder subtil zur Sprache kommt. So liegt unter all dem großartigen Wahnsinn der Jugend stets ein Hauch Sorge, ein Rest Melancholie. Das Leben ist eben keine endlose Party, und gerade in der Jugend liegen Ekstase und Verzweiflung oft besonders nah. Frieder sagt irgendwann: "Ich wollte mich nicht umbringen. Ich wollt bloß nicht mehr leben. Ich glaube, das ist ein Unterschied."

Auerhaus , nächste Vorstellungen Mo, 20. Februar, 11 Uhr (ausverkauft), Die, 14. März, 20.30 Uhr, Hoffmannnkeller, Kasernstraße 4-6, Augsburg, Karten online: theater@augsburg.de

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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