Bücherherbst 2020:Ein Fest fürs Leben

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Ein Jahr ohne Buchmesse, wie soll das gehen? In diesem SZ Spezial reden wir einfach trotzdem über Literatur, und Bilder von Regina Schmeken zeigen die Frankfurter Stimmung, die wir vermissen.

Von Felix Stephan

Frankfurter Buchmesse in Bildern
:Die Messe vermissen

Die größte Bücherschau der Welt findet in diesem Jahr ohne Publikum statt. Daran, wie es ohne Corona in Frankfurt zugehen könnte, erinnern Bilder von Regina Schmeken.

Neulich war in einem kleinen Sammelband mit dem großen Titel "Literaturtheorie nach 2001" von einer gespenstischen Beobachtung die Rede: Ein halbes Jahrhundert nach Roland Barthes' Aufsatz über den "Tod des Autors" werden Autoren heute wieder allenthalben gesichtet. Und sie benehmen sich, als gehörte ihnen der Laden: Sie kommentieren in den sozialen Medien die Rezensionen, die über ihre Bücher geschrieben werden, halten eine Poetikvorlesung nach der anderen und schreiben ihre eigene Sekundärliteratur. Von Dietmar Dath ist zum Beispiel im Wallstein Verlag gerade das Buch "Stehsatz" erschienen, in dem er erst ausführlich einige der schönsten Beleidigungen und Huldigungen zitiert, die der Kritik zu seinen Romanen über die Jahre so eingefallen sind, und dann im weiteren Verlauf erklärt, wie die Dinge sich in Wirklichkeit verhalten. Dass dem Autor, wenn es um die Analyse seines eigenen Werkes geht, auch nur die geringste Auskunftsfähigkeit zugesprochen wird, besiegelt das Ende der Postmoderne dann gewissermaßen auch amtlich.

Einer der Orte, auf denen die Anwesenheit lebendiger Autoren bis gerade eben noch ausdrücklich erwünscht war, ist die Frankfurter Buchmesse, und zu den Treppenwitzen der Literaturpraxis nach 2001 gehört es nun, dass sie dort in diesem Jahr gerade nicht sein werden, sofern ihnen an ihrer Lebendigkeit gelegen ist. Für den Ausfall haben die Veranstalter die schöne Formulierung gefunden, die Messe finde "ohne Stände" statt, was den absurden Irrtum insinuiert, eine Messe ließe sich allein digital ausrichten. Die Sache ist aber nun einmal die, dass Literaturlesungen im Livestream derart triste, hoffnungslose, aseptische Veranstaltungen sind, dass man sich nach spätestens vier Minuten wünscht, nicht der Autor sei tot, sondern man selbst.

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(Foto: Regina Schmeken)

Unter den Gerüsten und Scheinwerfern der Messehallen, ist das Gesehenwerden (in normalen Jahren) natürlich alles. Und im Strömen und Gewimmel der Messebesucher tauchen immer wieder unvermittelt bekannte Gesichter auf. Dieses Jahr sehen wir sie hier aus der Perspektive der Fotografin Regina Schmeken: Messeszenen aus dreißig Jahren.

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(Foto: Regina Schmeken)

Die vielfältigen Schriften des Subkontinents waren in einem Logo vereint und stiegen über dem Innenhof der Messe auf, als Indien sich 2006 als Literaturland präsentierte.

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(Foto: Regina Schmeken)

2017 wurden die Polizeipräsenz auf der Buchmesse verschärft. Die AfD war in den Bundestag eingezogen, und es gab Tumulte wegen des Auftritts rechter Verlage auf der Messe.

Die eigentliche Veranstaltung beginnt bei Lesungen immer erst dann, wenn der Autor endlich die Biege gemacht hat und die Verhandlung dessen, was auch immer gerade vorgelesen wurde, endlich eröffnet ist. Das ist dann der Teil des Abends, in dem der Text zu einem Kunstwerk heranwächst, sich völlig neu verknüpft oder auch einfach sofort wieder vergessen wird, Literatur also streng genommen überhaupt erst entsteht. Die Lesung selbst ist eher die rituelle Hinführung, die Fastenzeit vor dem Festmahl, weshalb man die Anfänger auch immer daran erkennt, dass sie direkt nach der Lesung nach Hause gehen und trotzdem begeistert sind. Das Besondere an der Buchmesse war in diesem Zusammenhang immer, dass beides in gesteigerter Form auftrat, das Leid und die Erlösung. Man stand dort also mitten am Tag im Gedränge, hörte sich unglücklich Lesungen von irgendwelchen Verlagsgoldeseln an - ehemaligen Bundespräsidenten oder Fernsehkabarettisten, die jeweils erregte Bücher über den Islam geschrieben hatten -, um dann spätnachts im Fahrstuhl des billigsten Hotels der Stadt plötzlich die Bemerkungen einer, sagen wir, ungarischen Philosophin aufzuschnappen, in denen zum ersten Mal an diesem Tag tatsächlich so etwas wie ein Gedanke formuliert wurde. Ein bisschen von diesem ultrahocherhitzten Diskurskonzentrat, in dem sich in Frankfurt jedes Jahr das Schicksal des Geisteslebens entscheidet, versuchen wir, in dieser Beilage abzubilden.

Wir haben die vielfach ausgezeichnete Fotografin Regina Schmeken, die Jahr für Jahr auf der Buchmesse unterwegs gewesen ist, gefragt, ob sie uns ihre Archive aus drei Dekaden Buchmessenfotografie öffnet. Für die SZ und ihre eigenen Ausstellungen - ab nächster Woche zum Beispiel in Bordeaux - fotografiert Schmeken wie keine Zweite Geschichte, die sich vollzieht: den Mauerfall, die Tatorte des NSU, ungezählte Bundeskanzler und Nobelpreisträger. Und eben auch Literaturgeschichte. In den Bildredaktionen gilt Literatur ja in der Regel als unfotografierbar, weshalb die Illustrationen häufig aussehen wie Einrichtungskataloge, also zu einer Kombination aus Ohrensessel, Bücherwand und Stehlampe gegriffen wird, wenn Literatur versinnbildlicht werden soll. Bei Regina Schmeken hingegen besteht Literatur aus Begegnungen, Paaren, Passanten, sie denkt die Erzählung von ihrem Gegenstand her, dem gerade so noch wahrgenommenen Augenblick, nicht vom gesetzten Buch. Zur Wirklichkeit verhalten sich Regina Schmekens Fotografien ungefähr so wie die Gedichte von Louise Glück.

Besonders abwesend werden die Autorinnen und Autoren sein, die eigentlich das Gastland Kanada hätten vertreten sollen und deren Bücher zu diesem Anlass zahlreich ins Deutsche übersetzt wurden. Einige von ihnen stellen wir in dieser Beilage vor. Der Auftritt Kanadas, heißt es, soll auf das nächste Jahr verschoben werden. Wir können es kaum erwarten.

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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