Buchempfehlung "Koskas und die Wirren der Liebe":Die üppige Nixe

Lesezeit: 3 Min.

Clown, Sexualneurotiker und Tagträumer: Der Journalist und Schriftsteller Olivier Guez erzählt von den tragikomischen Abenteuern eines liebestollen jüdischen Mannes.

Von Christoph Bartmann

Der junge Jacques hat einen Traum. Einen Tagtraum, worin ihm die "Leopardin" erscheint, eine "üppige nackte Nixe" mit "herrlichen Brüsten", und woraus ihn brüsk ein Schmerz in der Rippengegend erweckt. Es ist Samstag, der 6. Oktober 2003, und Jacques hat in der sephardischen Synagoge zu Straßburg kurz ein Schläfchen eingelegt. Bis ihn der Großonkel Ezechiel unsanft in die öde Wirklichkeit des Jom Kippur zurückpfeift. "Ein mit unverdauten Peperoni angereicherter Atem ruinierte den paradiesischen Augenblick", so wird gleich am Anfang von Olivier Guez' Roman "Koskas und die Wirren der Liebe" berichtet, und bei gemischten oder gestörten Gefühlen dieser Art wird es dann auch bleiben. Es ist eine ziemlich deftige Komödie, die Guez da geschrieben hat, die (Tragi-)Komödie eines liebestollen jüdischen Mannes, in einer gut gelaunten, gagverliebten Reporterschreibe.

Jacques, Spross einer gutbürgerlichen akademischen Familie in Straßburg, der Vater Gynäkologe, die Mutter Urologin, war eigentlich zu Höherem berufen gewesen. Ein so begabter wie fleißiger Schüler, ernsthaft und solide, dem Glauben der Vorfahren treu, gab Jacques zu den schönsten Hoffnungen Anlass, bis ihn, recht spät erst, am Atlantikstrand, sein erotisches Damaskuserlebnis ereilt. Ein "neues Kapitel der menschlichen Mythologie", ein "'neuer Abschnitt der Weltgeschichte'". Jacques Koskas entdeckt "seine Berufung": die Liebe und ihre Wirren.

Der Autor hat Witz und pflegt einen sorglosen Umgang mit Klischees

So weit, so absehbar, könnte man schon an dieser Stelle sagen. Ist das nicht Philip Roth plus Woody Allen dividiert durch ein bisschen Albert Cohen? Was ja nicht das Schlimmste sein müsste. Wie seine übergroßen Vorbilder hat Guez Witz, und zu diesem Witz wohl gehört auch der betont sorglose Umgang mit Klischees - von Frauen, orthodoxen Juden, Deutschen, Journalisten, nicht so orthodoxen Juden und eigentlich allen anderen Personengruppen auch. Wenn etwa Guez Jacques den Hintern seiner sephardischen Geliebten als "Marrakesch-Bonbonniere" erleben lässt - dann schlagen sich in einem solchen Attribut doch auch ein wenig die Probleme von Guez' literarischem Freistil nieder. Der Roman ist schon 2014 in Frankreich erschienen, und man merkt es ihm an - oder man merkt, wie sehr sich die Grenzen auch des literarischen Sagens seitdem verschoben haben.

Jacques jedenfalls, der Erotomane, versucht sich im Leben mit wechselndem Erfolg als Pariser Zeitungsjournalist oder auch mal als Spielervermittler in Brasilien und Kuba, wird aber seines Lebens trotz rastloser Abenteuer nicht recht froh. Etwas fehlt, was ihm weder ein bürgerlicher Beruf noch eine bürgerliche Ehe bieten können, geschweige denn eine Rückkehr in die rechtgläubige Elternwelt.

Eigentlich interessiert sich Jacques nur für zwei Dinge: erstens für Mitteleuropa, die Heimat seiner Mutter, eine unscharf umrissene Welt zwischen Pommern und Serbien, durch die Jacques als Wiedergänger von Joseph Roth schweifen will, und zweitens seine erotische "Berufung". Diese muss endlich einmal ihr Zielobjekt finden, eine "Leopardin" wie im Traum, nur diesmal eben in der Wirklichkeit. Auf der Flucht vor zwei unerwünschten Vaterschaften in Paris sucht Jacques sein Heil in Berlin und findet dort tatsächlich Barbara, die Frau seiner Träume. Die Liebe ist groß, auch wenn seine neue Freundin selbst ebenfalls polygame Neigungen hegt, und wenn man sich nahe kommt, klingt das bei Guez so: "Schaudernd vor Ekstase, streichelte er ihr goldenes Haar und ihre marmorne Haut, auf der sich die Sonnenstrahlen spiegelten, er küsste sie zärtlich, seine Hände wanderten über ihren Körper (...)." Positiv ausgedrückt: Guez beherrscht eben nicht nur das Register der Sexualgroteske, er kann auch Sentimentalität, ja Kitsch. Gerne möchte man hoffen, dass diese Aufwallungen des Trivialen allesamt gewollt sind und eine tiefere Absicht transportieren. Aber nein, über die "Wirren der Liebe", die dem Roman den Titel geben und die Gott sei Dank nicht sein einziges (wenn auch sein beherrschendes) Thema sind, hat Guez tatsächlich über weite, fast ermüdend witzige Strecken nichts Erhellendes mitzuteilen.

Das Humoristische kann zum Fluch werden, wenn ihm nicht irgendwann der Ernst zu Hilfe eilt. Erst auf der Zielgeraden des Romans, man ahnt es die ganze Zeit, kommt dieser Ernst zu seinem Recht. So kann es schließlich mit Jacques auch nicht weitergehen, sonst wäre sein Leben und mit ihm der Roman gänzlich verfehlt. Auf welche Weise Jacques nun "wesentlich" wird, wo und mit wem und für wie lange, das kann hier nicht verraten werden. Jedenfalls bekommt Guez' Roman vom Ende her eine Erdung, die Jacques' Liebes- und Lebenswirren noch einmal in ein anderes Licht taucht. Jacques, der Clown, der Sexualneurotiker und Tagträumer, der, wie er sagt, am liebsten ein Leben gelebt hätte wie Tony Curtis und Roger Moore in der legendären TV-Serie "Die Zwei", dieser Jacques findet den lange vermissten Sinn in einem Daseins jenseits seiner erotischen "Berufung". Das ist, denkt man an sein Vergnügen an Marrakesch-Bonbonnieren, fürwahr ein weiter Weg gewesen.

Olivier Guez: Koskas und die Wirren der Liebe. Roman. Aus dem Französischen von Nicola Denis. Aufbau Verlag, Berlin 2020. 336 Seiten, 22 Euro.

© SZ vom 19.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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