Buchmarkt im Umbruch:Die smarte Bedrohung

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In Frankfurt öffnet die größte Buchmesse der Welt - derweil steht der Buchmarkt vor gravierenden Umwälzungen: Internet-Händler wie Amazon verändern das Verhältnis zum Buch insgesamt.

A. Zielcke

Noch ist das elektronische Buch zumindest hier in Deutschland nur eine Vision, keine Realität. Noch sind Bücher gebundene papierne Gebilde mit höchst unterschiedlichem Gewicht und Format, Gebilde, die man in der Hand hält, in denen man blättert, deren Text und Sinn in typographisch gesetzten Zeilen gedruckt und verkörpert ist.

Noch sind Bücher gebundene papierne Gebilde: Aufbauhelfer bei der 60. Frankfurter Buchmesse. (Foto: Foto: ddp)

Noch bieten Bildbände mimetische Blätter von Kunst und Fotografie dar, als ob man sie ausschneiden und an die Wand hängen könnte. Noch füllen Bücher die Regale und bestimmen nebenbei die Wohnungsästhetik der gebildeten Stände. Noch gleicht nach dem Gebrauch kein Buch mehr dem anderen und kann - mit Randnotizen versehen - zum individuellen "Footprint" seines Besitzers werden.

An diesem kulturgeschichtlich so bedeutsamen Tatbestand ändert das Internet nichts - ob man seine Bücher nun dort kauft oder noch im Laden.

Doch es sind bei weitem mehr als nur nostalgische Gefühle, die den Gang in den Buchladen vom Kaufakt im Internet unterscheiden. Das Internet verändert das Kaufverhalten, es verändert aber auch das Verhältnis zum Buch insgesamt.

Das Buch wird als Kulturtechnik neu definiert

Das Netz ist der historische Zwischenschritt von der Kultur des gedruckten zur Kultur des digitalisierten Buches. Durch Amazon (hier als Synonym verstanden für den elektronischen Buchhandel, an dem sich inzwischen auch die klassischen Buchverlage und Sortimenter beteiligen), durch das "Prinzip Amazon" also wird das Buch als Kulturtechnik neu definiert.

In seinen Anfängen konnte Amazon nur die Bequemlichkeit bedienen, weil es die Buchbestellung vom Wohnzimmer aus ermöglichte und den Gang zum Buchladen ersparte, eine Ersparnis indes, die für Käufer auf dem Land oder in der Kleinstadt den Unterschied ums Ganze ausmachen konnte; jetzt erst waren sie echte Teilnehmer des Buchmarkts.

Der Vorteil des Buchhandels gegenüber Amazon aber schien uneinholbar zu sein: Beratung durch die versierte und sensibel die diffusen Lesewünsche der Kunden sortierende Buchhändlerin, die Möglichkeit zu stöbern und durch die Bestände zu flanieren, Kostproben durch den Blick in das Buch, Teilhabe an der bildungsgetränkten Atmosphäre des Buchgeschäfts, das so lange eine Stätte der bürgerlichen Selbstvergewisserung, der Wissensfülle und der Funde im belletristischen Neuland darstellte.

Und was schon der normale Buchhandel bot, galt in gesteigerter Form für den Besuch des Antiquariats: eine Feier der Bibliophilie, des Ledereinbands, des Goldschnitts und des Büttenpapiers, der wunderbaren Entdeckungen verloren geglaubter Werke.

Schrumpfende Zahl der Nischenbuchläden

War schon das in vielen Fällen eher ein Klischee als nüchterne Wirklichkeit, so haben sich jedenfalls die Verhältnisse gewandelt. Der Buchhandel hat sich zu seinem schweren Nachteil transformiert und so nolens volens dem Internet entgegengearbeitet.

Auf der einen Seite die Vormacht der großen Handelshäuser und -ketten, die kaum mehr Buchhändler des alten verklärten Typs, sondern mehr schlecht als recht angelernte Verkäufer beschäftigen. Echte Beratung darf man nicht mehr erwarten, die Verkäufer wissen nurmehr vor allem, was sie auf Lager haben und was bestellt werden muss - da kann man gleich selbst bei Amazon nachschlagen.

Perfekt wird nur noch die augenblickliche Bestsellerliste bedient. Auf der anderen Seite die verbliebene, täglich schrumpfende Zahl der Nischenbuchläden, die mit viel Liebe, aber immer weniger Mitteln den traditionellen Gedanken des beratenden und kennerhaften Buchhandels aufrechterhalten: allenfalls noch das Feigenblatt der Branche.

Demgegenüber weiß Amazon, was die Stunde geschlagen hat. Vom simplen Online-Vertrieb hat es sich weit entfernt und mächtig dazugelernt. Eine Bedrohung des konventionellen Buchhandels stellt es noch nicht wegen seiner quantitativen Größe dar (vom gesamten Buchumsatz in Deutschland fielen 2007 auf Amazon.de höchstens 10 Prozent).

Die Bedrohung ist sehr viel smarter und nachhaltiger. Was die Beratung im klassischen Buchgeschäft war, wird hier auf immer raffiniertere Weise substituiert und mit allen Verlinkungsoptionen der digitalen Welt angereichert und auf den Kaufwilligen zugeschnitten. Man mag das nicht zu Unrecht als aufdringliche, als simulierte oder gar manipulative Kundenwerbung anprangern. Doch es hilft bei der Suche im weltweiten Ozean der Bücher ungemein.

Ein modernes Antiquariat

Nicht nur, dass man zu dem eingegebenen Stichwort häufig eine brauchbare Auswahl von Titeln vorgeschlagen bekommt, nicht nur, dass man sich über das Gesamtwerk des ins Auge gefassten Autors informieren, und nicht nur auch, dass man oft Inhaltsangaben oder gar Auszüge lesen kann und auch Links zu Rezensionen erhält.

Vielmehr speichert Amazon die eigenen Kauf- und Suchgewohnheiten und knüpft beim nächsten Besuch daran an, damit man gezielt weiter "stöbern" kann. Und vor allem kann man inzwischen auch gebrauchte Bücher erwerben: anstelle des neuen Buchs oder aber anstelle des vergriffenen Buchs. Ein modernes Antiquariat also.

Dieses Medium ist somit nicht mehr nur eine elektronische Vertriebsplattform, sondern eine kulturelle Idee, eine neue Form kultureller Existenz. Man kann sich im Netz auf seiner permanenten Suche nach Buchinhalten einrichten. Die Erschließung der Texte, der zugänglichen Wissenswelt verwandelt sich zur digitalen Erschließung. Clever, verkaufsorientiert und auch usurpatorisch. Ihrem Nutzen, ihrer Idee ist kaum zu entrinnen. Das E-Book ist nur die logische Fortsetzung.

Bekannte Autoren sitzen Rede und Antwort. Auf dem Blauen Sofa während der Frankfurter Buchmesse.

© SZ vom 15.10.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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