Britney Spears: Comeback-Tour:Das singende Uhrwerk

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Aerobic-Video mit phantastischem Bühnenbild: Britney Spears macht ihren Job, so gut sie kann, auch beim Eröffnungskonzert der Comeback-Tour "The Circus".

Jörg Häntzschel

Nach dem Eröffnungskonzert ihrer Comeback-Tour "The Circus" gab es Proteste im Internet: Britney Spears habe gar nicht selbst gesungen. Alles kam vom Band! - Doch die Empörung beruht auf einem großen Missverständnis. Es ist, als würde man darüber klagen, dass Wrestler nur so tun, als schlügen sie sich tot; dass Bodybuilder ihre Muskeln nicht nur mit Hanteltraining aufpumpen; oder dass Zauberer keine übersinnlichen Fähigkeiten besitzen.

Auch der Fall der blonden Locken ist einstudiert: Britney Spears. (Foto: Foto: ddp)

Der Titel von Tour und Platte wurde als Metapher für den Medienrummel interpretiert, dessen Mittelpunkt sie in den letzten Jahren war, als ihr Borderline-Verhalten, dessentwegen sie entmündigt wurde, ihr täglich neue, hämische Presse bescherte. Doch den 17 000 Fans (darunter Madonna), die ihren Auftritt am Mittwochabend im Nassau Coliseum im New Yorker Hinterland erlebten, machte sie schnell klar, dass sie "Zirkus" im eigentlichen Sinne versteht: Sie sieht sich als Illusionskünstlerin, als Showgirl. Vaudeville und Kabarett: Das ist ihre ästhetische Heimat. Und visuelle Überwältigung, nicht Pathos ist ihre Ware. Wie sie selber in der Titelnummer des Albums verkündet: "There's only two types of people in the world/The ones that entertain, and the ones that observe/Well, baby, I'm a put on a show kind of girl."

Über den Haufen schießen

Die anachronistische Authentizitäts-Behauptung des Pop, sein Subjektivitäts-Anspruch und seine Kunst-Prätention haben auf ihrer Bühne also nichts zu suchen. Die Artisten, die vor Britneys Auftritt Stahlgitter dekorativ im Kreis herumwirbeln, die Dame, der von einer Planke aus ein doppelter Salto gelingt, die jonglierenden Clowns: Das sind ihre Kollegen! Und dazu Leute wie der schwule, gehässige Celebrity-Blogger Perez Hilton, der uns auf der zylinderförmigen Videowand wie eine Fellini-Figur in die gefährlich-verführerische Welt von Britneys Zirkus lockt - bis sie ihn mit Pfeil und Bogen über den Haufen schießt.

Aufwendiger und opernhafter ist ein Popkonzert kaum vorstellbar. Wäre Britney noch mit Delphinen geschwommen, hätte es auf der Bühne einen Schneesturm gegeben, wäre das dramaturgische Niveau des Cirque du Soleil erreicht worden. Doch schon jetzt wurde die Bühne alle paar Minuten ummöbliert: Raus mit den Louis-quatorze-Sofas, rein mit Ghetto-Requisiten. Alle paar Minuten schwebten wieder ein paar Akrobaten zu Boden. Britney selbst kletterte in einen goldenen Käfig und befreite sich, wurde von einem Zauberer zersägt, tauchte in neuem Kostüm wieder auf; turnte in einem fliegenden Bilderrahmen; wurde auf einer goldenen Rikscha kutschiert und schwebte auf einem Regenschirm davon - alles im erbarmungslosen Beat von "Circus", von "Me Against the Music", von "Piece of Me", "Toxic" und schließlich "Womanizer", fast ausschließlich Songs der letzten beiden Platten.

Und weil die Bühne wie die Manege im echten Zirkus in der Mitte der Halle stand, musste sie wie ein menschlicher Quirl unaufhörlich die Runde machen. Oft teilte sich das Personal in vier Gruppen, die an allen Seiten der Bühne mit Unterschiedlichem beschäftigt waren. Immer wieder behinderte Goldregen die Sicht, Nebelsäulen eruptierten aus dem Boden, Feuerringe wurden entfacht, und zum Schluss wurde das Publikum mit Konfetti beschossen. Auch das Grafik-Spektakel, das unaufhörlich über die gigantischen Videozylinder zog, trug zur allgemeinen Ablenkung bei: alte Stummfilme, Houdini-Plakate, "wachsende" Blumenmuster und Britneys gesammelte Musikvideos.

Wie würde Britney ihre Vergangenheit als All-American-Blondchen mit ihren jüngsten Eskapaden in einer neuen, tragfähigen Identität versöhnen? Wie würde sie mit ihrer Musik zumindest etwas von der Aufmerksamkeit erregen, die ihr im Privatleben so überreichlich zuteil wird? Oder: Wie würde, wie könnte sie interessant altern? Das Zirkus-Thema erwies sich als geniale Antwort auf alle diese Fragen. Es lenkt von der Last ihrer Biographie ab; es verspricht Harmlosigkeit, damit die Mütter ihre Töchter auch weiterhin zum Konzert karren (in New York quollen die High-School-Girls mit Britney-Hütchen traubenweise aus den Geländewagen); und es motiviert doch das eigentliche Leitmotiv der Show: Sex in allen seinen Formen. Sind Zirkusleute, Schausteller nicht alle irgendwie Freaks? Perverse?

Zumindest bei Britney sind sie das. Ihre Tänzer tragen selten mehr als Bondage-Gurte, Gesichtsmasken und Irokesenschnitte. Mal sind Männer und Frauen zu androgynen Wesen reduziert, mal sind ihre Geschlechtsmerkmale übertrieben wie in Erotik-Comics. Sie selbst wechselt etwa acht Mal die Leder-, Lack- und Chrom-Korsetts, bis sie schließlich als schlagstockschwingende Polizistin in Hot Pants erscheint. Fast ununterbrochen wird irgendwo auf der Bühne Geschlechtsverkehr simuliert. Auf dem Sofa, von der Decke hängend, gleichgeschlechtlich oder nicht. Und damit wir nicht vergessen, dass all das biographisch abgesichert ist, bekommen wir noch einmal das Video vom berühmten Kuss von Madonna und Britney zu sehen. Für die Umbaupause vor dem dritten Akt, der "Freak Show" betitelt ist, wurde für die Video-Leinwand eigens eine Orgie à la "Eyes Wide Shut" inszeniert, mit Britney als Hauptdarstellerin, die die Lippen zu dem düsteren Marilyn-Manson-Cover des Eurythmics-Hits "Sweet Dreams (Are Made of This)" bewegt.

Doch die Verrufenheit ist natürlich bloße Behauptung, statt Tabubrüchen erleben wir eine Abfolge uralter Klischees der Übertretung. So kalt und unerbittlich ist aber auch der Rhythmus, mit der die Britney-Maschine über die Bühne stampft, dass für Erotik weder Zeit noch Raum bleibt. Wie schon ihre früheren Auftritte gleicht ihre Show einem Aerobic-Video mit phantastischem Bühnenbild.

Nichts wünscht man sich denn auch sehnlicher, als Britney stolpern zu sehen, einen Moment lang befreit aus dem Gefängnis ihrer Choreographie. Aber nein: Da sitzt alles. Eine schreckliche Vision verfolgt einen auf dem nächtlichen Heimweg vom Konzert: Die Wochen und Monate, die Britney und ihre Truppe in irgendeiner tristen Halle in Los Angeles verbracht haben müssen, um in unendlicher Monotonie die Abertausende von Tanzschritten, jede aufreizende Geste, noch den Fall der blonden Locken einzustudieren, damit am Ende alles abläuft wie ein Uhrwerk.

Nackt hinter Glas

Dass sie trotz des umgeschnallten Mikros selber nicht singt, dass ihre meist von der Software verzerrte Stimme kaum mit dem Wesen auf der Bühne zu assoziieren ist, ist insofern nur konsequent. Gewöhnliche Popkonzerte spielen mit dem Versprechen, die mediale Vermittlung lasse sich einen Moment durchbrechen, etwas wie Intimität mit dem Star sei möglich, ein Eintreten in seine Aura. Bei Britney hingegen ist das Konzert nur die Fortsetzung von Platte, Video oder TV-Auftritt mit erweiterten Mitteln. Nichts findet statt zwischen ihr und dem Publikum. Und obwohl sie ununterbrochen in Bewegung ist, sehen wir nicht einen Schweißtropfen, nicht ein spontanes Zeichen von Erschöpfung. Obwohl sie den gesamten Abend lang nahezu nackt ist, erscheint sie auch aus wenigen Metern Entfernung wie hinter Glas.

"I'm the ringleader, I call the shots", prahlt sie in "Circus", und als Zirkusdirektorin lässt sie zu Beginn auch gleich die Peitsche knallen. Doch die Selbstzuschreibung deckt sich nicht mit der Realität. In der großartigen Dressurnummer, die dieses Konzert darstellt, steht sie auf der Seite der Tiere. Das Tragische ist dabei, dass sie - dank der Kostüme und der Lichtregie - in dem Ensemble der Tänzer am hellsten erstrahlt, aber am niedrigsten springt. Die anderen sind einfach jünger, schlanker und viel schneller - und singen ebenso wenig wie sie. Wäre dies ein Turnier im Eiskunstlauf, Britney würde am Ende die schlechtesten Noten bekommen. Genau hier liegt das Fünkchen Menschlichkeit, für das man sie am Ende doch noch lieben kann. Sie stellt sich trotzdem noch mal hin. Sie macht ihren Job - so gut sie kann, fleißig und voller Hoffnung.

© SZ vom 14./15.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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