Britische Literatur:Scherbengericht

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Mit einem Roman über das Scheitern ihrer Ehe ist die englische Autorin Rachel Cusk bekannt geworden. In ihrem neuen Roman "Outline" hört sie Leuten zu, die ihrem verpassten Leben wenigstens noch eine gute Geschichte abgewinnen wollen.

Von Hannes Vollmuth

Gleich vorneweg: Die Lektüre von Rachel Cusks neuem Roman hat Nebenwirkungen. Vor allem wird man einer Alltagserzählung nur noch schwer folgen können, ohne zu denken: Schöne Geschichte, aber was ist tatsächlich passiert? Rachel Cusks Erzählerin ist zum Beispiel gleich am Anfang mit einem Milliardär zum Lunch verabredet, der ihr auch prompt sein Leben erzählt oder zumindest so tut: "The billionaire had been keen to give me the outline of his life story". Die ansonsten sehr gute Übersetzung übertragt das mit "Der Milliardär erzählte mir bereitwillig aus seinem Leben" ins Deutsche. Es fehlt eine Entsprechung zu "outline", also Skizze, Entwurf. "Outline" aber ist der Titel und das Schlüsselwort dieses Romans.

Die Britin Rachel Cusk hat bislang acht Romane und drei Sachbücher publiziert. "Aftermath: On Marriage and Separation", ein Buch über das Scheitern ihrer Ehe, machte sie 2012 zur angeblich meistgehassten Schriftstellerin Englands. So wurde sie zu einer Repräsentantin des biografischen Erzählens und seiner Probleme. In ihrem neuen Roman drückt sich das so aus, dass die Ich-Erzählerin im Hochsommer nach Athen reist, um dort einen Schreibkurs zu geben, aber statt jungen Talenten literarisches Handwerkszeug zu reichen, dann Entwürfen und vorläufigen Fassungen von Lebensgeschichten aller Art zuhört. Es sind Erzählungen gebrochener Menschen, seelisch Versehrter, denen nur noch ein Ausweg bleibt, nämlich die Scherben ihres Lebens in eine schlüssige Erzählung zu überführen. Ein letzter Versuch der Rückeroberung verloren geglaubten biografischen Terrains.

Das lapidare Plaudern der Alltags- Schiffbrüchigen endet nie

Erste Ehen vergehen in diesen Lebensgeschichten, zweite werden geschieden, dritte eingegangen und wieder aufgelöst. Verhasste Familienhunde stochern mit der Schnauze in frischen Torten. Eine kinderlose Frau wird Zeugin eines Partygesprächs, in dem ihr Partner einer fremden Frau erzählt, er habe nicht vor, jemals Kinder zu bekommen. Nichts mehr wird danach sein, wie es war. Es sind die feinen biografischen Risse, die den Roman beleben. Und über alles läuft wie eine Art Voice-over der erbarmungslose Skeptizismus der Erzählerin: "Ich fragte ihn, wie er denn in seiner Erzählung den Zusammenhang zwischen Enttäuschung und Wissen übersehen könne."

Die Sprache hat Kraft, die Reflexionen neigen zum Tragischen: "Eigentlich war die Geschichte von Mann und Frau für mich immer eine Kriegsgeschichte, und so musste ich mich ehrlich fragen, ob ich mich vielleicht vor dem Frieden fürchtete." Aber in erster Linie vertraut Rachel Cusk auf den Sog des lapidaren Plauderns ihrer Alltags-Schiffbrüchigen. Es ist das oft gelobte, aber zu wenig infrage gestellte Knausgård-Prinzip: die Aneinanderreihung leiser Katastrophen und die damit verbundene Absage an einen Plot. Bis zu einem gewissen Punkt ist das faszinierend und hypnotisierend. Doch irgendwann wird das serielle Prinzip monoton und man hat plötzlich das Gefühl, es passiert gar nichts mehr.

Rachel Cusk: Outline. Roman. Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 235 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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