Brigitte Kronauers letztes Buch:Als würde sie mit dem Florett durch die Zeilen tänzeln

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Ihr Alter Ego im Roman scheitert am Projekt "Glamouröse Handlungen". Zum Glück. Brigitte Kronauer Ende 2015 in ihrer Hamburger Wohnung (Foto: dpa)
  • Die Schriftstellerin Brigitte Kronauer ist im Juli dieses Jahres verstorben, nun erscheint ihr letztes Buch.
  • "Das Schöne, Schäbige, Schwankende" ist eine Sammlung von Erzählungen - subtil, satirisch, poetisch.

Von Insa Wilke

Eine Schriftstellerin, die von "Menschenliebe" spricht, von "Trost" und "fühlendem Denken", von einer Revolution, die sie darin sieht, "daß kein Mensch, ob Überflieger oder nicht, flach ist, simpel ist!", eine Autorin (auch noch eine Frau!), die offensichtlich mit großer Freude das Ausrufezeichen verwendet und es an Liebe zum ausdrucksvollen Leben auch sonst nicht fehlen lässt, eine solche Schriftstellerin könnte leicht als Blumenmädchen belächelt werden. Manchem könnten ihre Bücher ein Gräuel sein, aus moralischen Gründen und im Namen der beinharten Literatur. Das passierte Brigitte Kronauer aber nicht, als sie 2005 solche Sachen in ihrer Dankesrede zum Büchner-Preis sagte. Ihr letztes Buch wird auch in der Kritik als literarisches Vermächtnis gelobt. Worin liegt es, dieses Vermächtnis?

"Das Schöne, Schäbige, Schwankende" sind Romangeschichten, wie Kronauer das Genre im Untertitel nennt. Vielleicht hat sie es sich wie Christoph Ransmayr gedacht, der zum "Atlas eines ängstlichen Mannes" erklärte, die Lebenszeit reiche nicht aus, um alle Romanideen umzusetzen. Also müsse man Formen finden, sie auf anderem Weg in die Welt zu schicken. Als schlanke Geschichten, die das Potenzial zum Roman haben und durch bestimmte Prinzipien zu etwas Größerem zusammengehalten werden.

Bei Brigitte Kronauer verbindet ihr erzählendes Alter Ego die einzelnen Episoden. Es ist die Schriftstellerin Charlotte, die mal in Ich-Form, mal in der dritten Person erzählt. Charlotte erwähnt im Prolog auch das Erzählprinzip: alle Figuren erfahren "drei Entwicklungsstufen, mit sehr unterschiedlichem Erfolg, je nach Abteilung". Das Schöne steht für den Aufstieg, das Schäbige für den Absturz, das Schwankende für die Möglichkeiten dazwischen. Klassisch.

Die letzte Geschichte erzählt ein alter, engstirniger weißer Mann

Charlotte bemerkt aber selbst, dass alles durcheinander flattert und ins Rutschen gerät. Von wegen Ordnung. Trotzdem kann man sich als Leserin herrlich an diesem Prinzip abarbeiten und detektivisch tätig werden. Dann verpasst man aber das Eigentliche: "die blitzschnellen, geheimen Vorgänge zwischen den Individuen und die widersprüchlichen in sich selbst (...), die schließlich die Handlung erzeugen - egal ob eine Ehe oder ein ganzes Volk drauf geht". Wer dafür einen Sinn habe, so Kronauer alias Charlotte, werde angeschaut wie jemand, "der im aktuellen Jahrtausend Masche für Masche Topflappen strickt."

Um ihre narrative Potenz unter Beweis zu stellen, schreibe sie jetzt "Glamouröse Handlungen". Die gelingen ihr aber nicht. Stattdessen streift sie in "barscher, strohiger, oft chaotischer Landschaft" rund um ein Haus mit "blauen Schlagläden" umher, in das sie sich zurückgezogen hat und ärgert sich über die Frechheit der Vögel: Sie "formierten sich auf diesen Gängen zu einer imaginären Tapete. Richtig, sie tapezierten zunehmend die Wiesen, musterten unverschämt die Wolken und starrten mich herausfordernd an."

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Als herausfordernd empfindet Charlotte das Menschliche, das sie in den Vögeln wiedererkennt. Ob Wasseramsel, Sonnensittich oder Spatzenmännchen, sie alle ähneln jemandem, inspirieren Brigitte Kronauers Alter Ego und erinnern sie an Begegnungen, an Erlebtes, nicht an Erfundenes. Das ist wichtig, denn die letzte der drei größeren Erzählungen, die den kürzeren "Vogelgeschichten" nachgeordnet sind, ist auf Wunsch von Charlottes Mann Paul eine - angeblich - erfundene Geschichte und aus der Perspektive eines "alten, weißen Mannes" erzählt.

Man schüttelt sich da erst, weil es einen so merklichen Abfall in der Erzählweise gibt. Das ist aber nur konsequent, es erzählt ja jetzt plötzlich ein alter, engstirniger und wenig empathischer Mann, der den Isenheimer Altar verehrt und geblendet vom "Duft und Gold reinsten Einverständnisses um die irdische Mutter und ihr göttliches Kind herum" sich in den "leisen Gesang" seiner Pflegerin verliebt, "wenn sie, gemäß ihrer "geruhsamen weiblichen Existenz" nach dem Abendbrot den "Tisch abräumt mit feinem Klirren".

Wenn dieser Mann erzählt, werden die Sätze und Ansichten schlicht und man muss sich mühen, die Ambivalenz zu finden, welche die meisten der hinreißenden Vogelgeschichten auszeichnet. Die sind fantastisch altmodisch, großartig lebensklug und erzählt, als würde Kronauer mit dem Florett durch die Zeilen tänzeln. Eigentlich handelt es sich bei diesen Geschichten um Novellen, an deren Ende etwas Unerhörtes bleibt, das immer sowohl in der Beobachtung als auch in der bewusst artifiziellen Sprache liegt, die (siehe Büchner-Preis-Rede) nicht immer zu ihren Figuren zu passen scheint.

Die Kunst und ihr Betrieb bekommen es dabei besonders ab. In der Geschichte "Der Höfling" widmet Kronauer alias Charlotte dem Dompfaff ihre spitze Feder. In ihm erkennt sie den Schriftsteller Triegel: "Er beherrschte die Gepflogenheiten der Kulturbranche wie geschmiert. Es war ein Furor des Verneigens, eine Raserei, bis er das plötzlich abbrach, stillstand mit starrer Miene und in Zitaten sprach. Er hatte es gar nicht nötig, einen eigenen Satz auszudenken."

Wenn es um den Spott über die Hybris und Heuchelei der Kunstszene geht, sind Pointen (Krawel, krawel) leicht zu holen. Brigitte Kronauer ist sich dafür nicht zu schade. Virtuos kaschiert sie das kokett Derbe mit einer manchmal wohl bewusst manierierten Originalität. Ihre Satiren wirken geradezu galant. Trotzdem gibt es noch stärkere Stücke als die Kunst-Betriebsgeschichten. Das sind diejenigen, die sich den Langsamen widmen. Zum Beispiel dem Gärtner, der zum Erzählen Anlauf nehmen muss und dessen Sätze wie Schritte in "schweren Arbeitsstiefeln" wirken. Das ist so eine Kronauer-Formulierung, die man voll Behagen und glücklich liest, wie auch die unerhörte Begebenheit, die sich mit diesem Gärtner abspielt.

Brigitte Kronauer: Das Schöne, Schäbige, Schwankende. Romangeschichten. Klett-Cotta, Stuttgart 2019. 596 Seiten, 26 Euro. (Foto: dpa)

Es geht dabei nur um eine Geste, und eben darin liegt die Kunst von Brigitte Kronauer: in dem Gespür für die Bedeutung solcher Gesten und in der Fähigkeit, sie skizzenhaft für die Leser-Imagination zu entwerfen. Dem Gärtner ist die Erzählerin immer mal wieder begegnet. Als sie ihn nach längerer Abwesenheit im Botanischen Garten wiedersieht, zieht er seinen Handschuh aus, um ihr die Hand zu geben, sie aber versteht zu spät die Bedeutung der für ihn raren Geste und der Moment ist vorbei. Es gab ihn aber und er hat gezeigt, welcher Wunder der Alltag offenbaren kann. Das ist nicht sentimental gemeint, sondern ganz "spröde", wie Kronauer die Menschenliebe der Literatur bezeichnet hat.

Der Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler beschreibt in seinem Essay über Gegenwartsliteratur, wie Brigitte Kronauer sich mit "kühlstem Herz" dem "Kleinen" widmet, indem sie den "Stilkörper" aktiviert. Ihre Eleganz tariert die Moral aus, so dass sie weder wie ihre Figur Rosetta, eine Gelbstirnamazone übrigens, Kunst mit Kitsch verwechselt noch wie die wirklichen Anti-Figuren ihrer Geschichten Eleganz als "Rundumpolitur" trägt.

Und dann ist da ja noch Kronauers Humor. In der Geschichte "Suppenkasper" zum Beispiel, die von einer Frau und ihrer fixen Idee handelt, sich physisch zu reduzieren. Da heißt es dann, wenn sie nachts im Bett liegt: "In schamloser Neugier betastete sie leicht raschelnd ihre Überreste. ('Was schürft hier so?', fragte gelegentlich der Mann schlaftrunken und träumte schon wieder von ihrer Antwort, die sie sich deshalb sparte.)" Gerade diese Geschichte bekommt ein Happy End. Dem bleibt bei Kronauer allerdings fast immer eine Bitternote, ein kleiner oder größerer Schreck eingeschrieben.

Nein, Mitleid zeigt Brigitte Kronauer mit ihren Figuren nicht. Sie schaut ihnen eher wie eine Göttin zu, deren Blick ihre Kreaturen aus dem "Gewimmel" heraushebt. Dieser Blick wird immer dann besonders intensiv, wenn er die Unscheinbaren, Gewöhnlichen trifft. Lieb seien ihr, schreibt Charlotte, "schiefergraue, beschwingte Büroangestellte, die an schönen Sommerabenden mit ihren Fahrrädern, auf denen ihnen Flügel wuchsen, und mit ihren Aktentaschen nach Dienstschluss aufatmend zu den Lauben in ihre kleinen Paradiese fuhren!" - Mit Ausrufezeichen.

© SZ vom 19.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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