Brasilianische Literatur:Durch die Wüste

In seinem Roman "Deserto" begleitet Luis Krausz einen jungen Brasilianer, der seine jüdische Herkunft erkundet, nach Tel Aviv und London.

Von Michaela Metz

Ein altes jüdisches Lebensgefühl, das sich mit dem Bild der Wüste verknüpft, ist in unserer Welt brisant aktuell: Verfolgung, Flucht, Vertreibung. Im Roman "Deserto" - "Wüste" - von Luis Krausz reisen Ende der Siebzigerjahre junge brasilianische Juden als Erntehelfer nach Israel. Der Ich-Erzähler, Krausz' jugendliches Alter Ego, nutzt die Gelegenheit, um Verwandte kennenzulernen. Er beherrscht noch das antiquierte Deutsch der Großeltern und übersteht auch eine Konversation auf Jiddisch. Etwa mit Onkel Kalman, der in B'nei Brak, dem ultra-orthodoxen Viertel Tel Avivs beengt haust. Er erlebt sonderbare Rituale an verschiedenste Lebensorten in Tel Aviv und London, wohin er heimlich reist. London, das steht in seiner Familie in Brasilien für das alte, kultivierte Europa aus dem die Shoa sie vertrieb.

Krausz, der in São Paulo an der Universität hebräische und jüdische Literatur lehrt, beschreibt das manische Konservieren eines verlorenen Lebens in Form verstaubten Platten oder Bücher. Dazu gehört das edle Tuch, das der junge Reisende bei einem exklusiven Londoner Schneider für seinen Vater besorgen soll. Er will dieses mysteriöse Europa erspüren, das er aus den Geschichten seiner Kindheit kennt. Das sucht er im Museum, im Theater, wo Ingrid Bergman ihre Rolle spielt, "als verkörperte sie ein Europa, vor dessen Glanz der Rest der Welt verblasst". Es ist ein Blick hinter den Vorhang der Welt seiner Vorfahren, "die dazu verdammt waren, durch die Wüste zu irren, weder Sklave noch frei, sondern als Kreaturen ewigen Übergangs zwischen der einen und der anderen Welt".

© SZ vom 28.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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