Boris Jelzins teures Vermächtnis:Milliardär in Öl

Lesezeit: 3 min

Wie silberne Aliens auf einem Kartoffelacker: Mit den Superreichen schuf Boris Jelzin eine neue soziale Klasse.

Sonja Zekri

Boris Jelzins direkter Nachlass ist eine vergleichsweise klare Sache. Die Familie, so melden Zeitungen am Tag nach dem Tod des ehemaligen russischen Präsidenten, bekomme neben der Residenz "Barwicha 4", zwei Grundstücken, zwei Wohnungen und einer Datscha weiterhin staatliche Unterhaltszahlungen. Außerdem behält sie das Anrecht auf einen Dienstwagen und medizinische Versorgung für die nächsten fünf Jahre, und es hängt mit solchen - nach russischen Oligarchen-Maßstäben sehr bescheidenen - Privilegien zusammen, dass die Russen das Erbe des ersten russischen Präsidenten so ganz anders und viel düsterer sehen als der Westen.

(Foto: Foto: dpa)

Zweit-, Dritt- und Viert-Villa

Boris Jelzin hat Russland eine neue soziale Klasse geschenkt, die an die Stelle einer siebzig Jahre zuvor ausgelöschten oder vertriebenen Schicht trat und den Reichtum früherer Tage noch übertraf. Heute gibt es nach Informationen der Zeitschrift Forbes 60 Milliardäre in Russland, Zehntausende einfache Millionäre sollen allein in Moskau leben. Und doch haben sie bis heute für sich keinen adäquaten Stil, keine Lebensform, keine Kultur gefunden. Russlands Reiche sind eine Kaste ohne Vergangenheit.

Wenn der Maler Nikas Safronow seine schwerreiche Kundschaft in historischen Gewändern porträtiert, als Fürsten und Hofdamen, dann ist dies ein aufwendig drapierter, aber vergeblicher Versuch, historische Kontinuitäten zu simulieren. Auch in "Casual" , dem Schlüsselroman der Oligarchen-Ex-Gattin Oksana Robski, spürt man einen Hauch dieser Besinnungslosigkeit, eine Leere hinter goldenen Vorhängen, die sich die Protagonistin auch nicht mit viel Mandarinensaft schönsaufen kann.

Robski gilt als wertvollste Informantin der "Rubljowka", der Rubljower Chaussee in Moskau, wo die Millionärsdichte besonders hoch ist und Jelzins Nachfolger Wladimir Putin lebt. Inzwischen hat Robski verschiedene andere Werke aus dem nämlichen Milieu nachgeschoben und wird sogar kopiert. Russlands Superreiche stehen heute an der Schwelle zu einem eigenen literarischen Genre.

Damals, als Jelzin den Reichtum nach Jahrzehnten eines ideologisch versteckten Luxus' wieder sichtbar werden ließ und die Russen in die gleißende Pracht blinzelten, wirkten die Wohlhabenden wie silberne Aliens auf einem Kartoffelacker. Selten zuvor in der Weltgeschichte und ganz sicher nicht in der russischen Historie ist eine so kleine Gruppe in so kurzer Zeit zu einem so märchenhaftem Reichtum gelangt.

Die Soziologin Olga Kryschtanowskaja hat die Geburt der Businesselite aus den Kadern der Nomenklatura nachgezeichnet. Hier hatten nicht geniale Unternehmer geduldig auf ihre Stunde gewartet, vielmehr nutzten die Kinder des Apparates die Schwäche eines bankrotten Staates aus: Komsomolzen-Führer versilberten die Privilegien ihrer Jugendorganisation, um die erste von vielen weiteren Millionen zu verdienen - wie der ehemalige Yukos-Chef Michail Chodorkowski; Ministerien wandelten sich komplett mit Büro, Personal und Kaffeemaschine in gigantische Konzerne um - wie das Gasministerium in den Energiegiganten Gazprom 1989 und viele andere später.

Wer die Verflechtung von Wirtschaft und Politik im heutigen Russland kritisiert, darf über das Jahr 1996 nicht schweigen. Dass die Oligarchen Jelzin mit ihrer gesammelten Medienmacht die Wiederwahl als Morgengabe darbrachten, war das eine. Dass die Tycoons zugleich selbstverständlich in der Liste der Spitzenpolitiker auftauchten, Bankiers in Regierungsausschüssen saßen und der Medienzar Boris Beresowskij zum Stellvertretenden Sekretär des Sicherheitsrates aufgestiegen war, das andere. Bis Jelzins Geschöpfe sich ihrer Stärke bewusst werden und den Staat herausfordern würden, schien es nur eine Frage der Zeit. Insofern schwingt wohl ehrliches Bedauern mit, wenn Beresowski, den Putin bald ins Londoner Exil jagte, zum Tode Jelzins sagt: "Der Typ war mein Mentor, Russland hat seinen größten Reformer verloren. Er hat Abermillionen Russen zur Freiheit verholfen - auch mir."

Tiefes Misstrauen gegen eine freie Wirtschaft

Aus diesem Grund aber auch gehört das tiefe Misstrauen gegen eine freie Wirtschaft zum heikelsten Teil des Jelzinschen Nachlasses. Schon immer verhielt sich der russische Staat zum Eigentum ähnlich wie zur Orthodoxen Kirche: Beide können nur innerhalb des Spielraumes existieren, den er ihnen gewährt, ohne seinen Schutz sind sie verloren. Rein funktional gesehen hat Wladimir Putin also mit der Zähmung der Oligarchen nur das historische Gleichgewicht wieder hergestellt.

Die Reichen sind ohnehin inzwischen etablierter Teil der Gesellschaft, ja, sie verändern ihrerseits das Land nach ihrem Geschmack. Lange bevor der Bauboom halb Moskau umpflügte, blühte in der Peripherie der phantastische Eklektizismus der Datscha-Architektur. Heute verbergen sich in den Wäldern um Moskau noch teurere, noch schwerer bewachte Wunderdörfer, in denen sich die Reichen Dritt- oder Viert-Villen im gregorianischen oder viktorianischen Stil errichten lassen. Immerhin, in neuen Stadtvierteln wie dem eleganten Ostoschenko in Moskau (Quadratmeterpreis: 11 000 Euro), macht sich eine erste ästhetische Zivilisierung bemerkbar.

Russische Sammler laufen auf den Messen der Welt amerikanischen längst den Rang ab. Und einige geben von ihrem Reichtum sogar etwas zurück: Wladimir Semenichin, Besitzer der Baufirma Stroiteks, eröffnete unlängst ein eigenes Museum für zeitgenössische Kunst, um einige der 500 Werke aus seinem Besitz auszustellen. So schnell wie sie unter Jelzin die Bühne betraten, so schnell können sie wieder abtreten - und so bliebe immerhin etwas übrig.

© SZ vom 25.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: