"Book of Lightning":Fahrstuhlmusik für Marlboro-Männer

Lesezeit: 3 min

Rockmusik aus alter Männer Hand, Karikaturen von Rock-Riffs - so kann man daneben greifen. Die "Waterboys" altern mit ihrem Album "Book of Lightning" weder mit Rock noch mit Würde.

Jens-Christian Rabe

Es ist eines der großen Missverständnisse des Pop, dass es so etwas wie zeitlose Rockmusik geben kann. Wobei "zeitlos" hier heißen soll: völlig losgelöst von ihrer jeweiligen Entstehungszeit gut und vor allem: interessant. Diese Rockmusik gibt es nicht. Im Gegenteil: Auch Rockmusik ist nicht mehr als Popmusik.

Die Musik von "Waterboys" lässt nur noch alternde Cowboys freudig mit dem Fuß wippen. (Foto: Foto: ap)

Und wenn Popmusik wirklich als solche, jenseits nostalgischer Fanfolklore, funktionieren soll, dann muss sie ein Signum von Zeitgenossenschaft tragen. Trägt sie dieses Signum nicht, hilft alles nichts. Dann ist sie überflüssig. Die immer neuen Alben von "Rockgiganten" wie den Rolling Stones, The Who oder auch Oasis haben genau dieses Problem. Über die Jahre haben diese Bands die Fähigkeit verloren, ihre Zeitgenossenschaft überzeugend zu behaupten.

"Eii rolled and ssmoked the ssskeii!!!"

An der neuen Platte "Book of Lightning" der Waterboys, der Anfang der neunziger Jahre einmal sehr erfolgreichen (mit "Room to Roam" 1990, einer Best-of-Platte 1991 und "Dream Harder" 1993 hatte die Band drei Alben in Folge in den Top-Five der britischen Charts) und hochgeschätzten Band des schottischen Songwriters und Multiinstrumentalisten Mike Scott, lässt sich das ganze Elend, in das Rockmusik aus alter Männer Hand so gerne abrutscht, exemplarisch ablesen. Und das auf allen Ebenen, sei es der Titel, der Text, der Gesang, die Instrumentierung, die Produktion, die Rhythmen oder auch nur die Cover- und Bookletgestaltung.

Textlich bedient sich der 1958 geborene Scott ausnahmslos einfallslos im Grundwortschatz des Genres: "The Crash of Angel Wings" lautet der Titel des ersten Stücks, "Love will shoot you down" der des zweiten und "Nobody's Baby anymore" heißt der dritte Song. "Schwarze Wörter" werden "im Traum geschrieen" und der "König Zeit", bewegt sich vor und zurück wie ein "von hinten beleuchteter Tänzer auf einem weißen Pferd - Time, old Time, King Time is moving back and forth / like a backlit dancer on a pale white horse". Man kann natürlich einwenden, dass Rockmusik-Texte bisher selten Sternstunden der Weltliteratur waren. Aber so saftlos wie hier waren sie selten. Die bemüht dreckige Intonierung Scotts tut ihr Übriges: "Eii rolled and ssmoked the ssskeii!!!"

Sound von der Stange

Die Instrumentierung reiht sich ein. Das sparsame Balladenpiano in "Strange Arrangement" etwa ergänzen zuverlässig - und überhaupt nicht seltsam - elegische Streicher, später wird ein schleppendes beckenlastiges Schlagzeugarrangement im Viervierteltakt dazugemischt. Auch produktionstechnisch war man sich für keinen noch so gut abgehangenen Effekt aus dem ewigen Fundus zu schade: Das sechste Stück "It's gonna rain" begleitet im Hintergrund - richtig! - das Geräusch strömenden Regens. Platsch, platsch.

Die penetrant vibrierenden Irish-Folk-Fideln und Flöten auf "You in the Sky" oder "Everybody takes a Tumble" klingen nicht weniger steril. Die Gitarrensounds kommen sämtlich von der Stange. Das Fuzz-Riff auf "Love will shoot you down" wäre in seiner stumpfen Einmal-aufwärts-einmal-abwärts-Bewegung die perfekte Karikatur eines "Rock-Riffs" - es scheint nur leider vollkommen ernst gemeint zu sein.

Wie überhaupt die Geste, die Haltung des Albums so ärgerlich unbedarft muckerhaft ist. Perfekt machen den rockmusikalischen Offenbarungseid Artwork und Inhalt des CD-Booklets. Eine Uhr ist auf dem grellgelben Cover unter dem fein säuberlich verkrakelten rot-orangenen Schriftzug der Band zu sehen, eine paar violette Wolken dahinter, eine Krähe schwebt ein, und unten schaukelt eine stilisierte Dame.

Drinnen folgt ein Foto des nachdenklich dreinschauenden Masterminds Scott in dunklen Rot- und Brauntönen. Gegenüber beginnt "The Archivist Tale - Die Geschichte der Archivarin", die von der Entdeckung des titelgebenden "Blitzbuchs" erzählt. Bedeutungsschwer und todernst raunt es darin: "Als sie die ,Bibliothek der Seelen' betrat, erschienen ihr auf jeder Stufe strahlende Wesen; engelsgleiche Andenken-Bewahrer . . ."

Elegie für Guinness-Trinker

Die Gegenwärtigkeit, die Jugend zwangsläufig bedeutet, hilft natürlich bei der Behauptung von rockmusikalischer Zeitgenosschaft - man denke an neue Rockbands wie die Arctic Monkeys, Arcade Fire, die Strokes, Primal Scream, die Kaiser Chiefs, Mando Diao, die Kings of Leon oder die White Stripes. Auf ihre eigene Art bewahren alternde Rockstars wie Eric Clapton oder Bob Dylan ihre Würde: Sie nehmen inzwischen nur noch Bluesplatten auf.

Aber dass auch Rockmusik auf der Höhe ihrer jeweiligen Gegenwart mit dem Alter der Protagonisten nichts zu tun haben muss, beweisen seit Jahren Waterboys-Altersgenossen wie Paul Weller oder Mark E. Smith. Ihnen gelingt es, aus einem sehr eingeschränkten Reservoir an Akkorden und Harmonien ein Höchstmaß an Variation und Originalität auf der Höhe der Zeit herausholen.

Wie so viele alte Rocker sind die Waterboys genau an dieser Aufgabe gescheitert. "Book of Lightning" ist Fahrstuhlmusik für Marlboro-Männer. Eine einzige Tausendmal gehörte Elegie für die an den Theken dieser Welt festsitzenden Guinness-Trinker: "I learned how to sustain myself, how to sustain myself, in storms - Ich habe gelernt, es mit mir auszuhalten, es mit mir auszuhalten, in Stürmen."

© SZ vom 19.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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