Böse Möbel:Schrankwand-Panorama

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Eine Ausstellung im Münchner Haus der Kunst erkundet das "Innenleben" und zeigt eine grandiose Installation Henrike Naumanns.

Von Catrin Lorch

Wir haben in Deutschland gelernt, uns mit allem, was die NS-Zeit hinterlassen hat, intensiv auseinanderzusetzen. Und es dann auszublenden. Wohl weil wir damit leben müssen, mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, der Diktatur und ihren Manifestationen, die bis hin zu einer eigenen Ästhetik reichten, die das öffentliche, aber auch das Privatleben durchdringen sollte. Das Haus der Kunst ist mit seiner langen, von gewaltigen Säulen gegliederten Fassade eines der sichtbarsten architektonischen Überreste der Epoche. Zuletzt wurde über einen Entwurf des Architekten David Chipperfield zur Renovierung gestritten, der dessen kalte Proportionen wieder freigelegt hätte. Bis zum Baubeginn darf der Klotz weiterdämmern und der Kunst als White Cube dienen.

Ausgerechnet dort thematisiert die Ausstellung "Innenleben" Interieur, Gestaltung und Architektur. Sie macht nicht nur den Bau in seiner Monstrosität unübersehbar, sondern stellt auch Fragen, die bis in die Gegenwart reichen. Die Einzelwerke von vier Künstlerinnen sind allerdings sehr lose verbunden: Von den eleganten Metallarbeiten, mit denen Leonor Antunes in modernistischer Tradition Räume gliedert, bis zu den Gemälden der in Nigeria geborenen Njideka Akunyili vom zeitgenössischen, afrikanischen Privatleben und den gewaltigen Kachelbildern von Adriana Varejão, aus deren Glätte blutige Innereien quillen.

Doch wird die Gruppenschau im großen Oberlichtsaal jäh unterbrochen, den man Henrike Naumann überlassen hat. Die im Jahr 1984 in Zwickau geborene Naumann, die zunächst Bühnen- und Kostümgestaltung studierte, ist eine der spannendsten zeitgenössischen Künstlerinnen. Henrike Naumann erschließt die Bildhauerei für ihre Generation. Ihr Material sind Second-Hand-Möbel und Sperrmüll. Damit würde sie in der aktuellen Formensprache nicht weiter auffallen, Stein, Bronze und Holz sind ja schon länger Plastik, Spiegelfolie und Kunstleder gewichen.

Henrike Naumann hat als Jugendliche beobachtet, wie die Umwälzungen der Wendezeit zunächst in Bergen von Sperrmüll und Verpackungsmaterial resultierten. Jetzt buckelt sie dem Ready Made einiges an verschlissenem Sentiment auf, an Träumen und Visionen. Dass Henrike Naumann für "Ruinenwert" in den Kellern des Hauses der Kunst nach Material stöberte, hat in der Szene Erwartungen geschürt: Die Arbeit an der braunen Vergangenheit ist so etwas wie die Königsdisziplin deutscher Künstler von Anselm Kiefer bis Gregor Schneider. Von der 35-jährigen Ostdeutschen erwartet man eine andere, eine wirklich zeitgenössische Perspektive.

"Ich finde es spannend, dass man bei Möbeln der NS-Zeit davon ausgeht, sie wären irgendwie böse", hat die Künstlerin im Katalog zu bedenken gegeben. Und dann den Obersalzberg nachgebaut, den großen Empfangssaal mit dem Panoramafenster; im Originalmaßstab. Nur dass man Hitlers Salon nun durch den Kamin betritt und statt der Alpenkulisse die Zacken einer postmodernen, lackschwarzen Schrankwand aufragen. Der eklektische Mix aus dem Depot des NS-Baus und dem, was man in München auf den Seiten von Ebay findet, ist ästhetisch originales Made in Germany. Im Zentrum der Eichenholzsitzgruppe steht ein Keramikaschenbecher, der geformt ist wie eine zerknüllte Zigarettenschachtel. Auf Knüppelholz-Hockern liegen lilafarbene Kissen aus Kunstfaserplüsch. Der Kandinsky an der Wand ist aus dicker Wolle geknüpft; über den silbern gerahmten Plasmabildschirm ziehen Bilder von NS-Paraden.

Wer gelernt hat, alltägliche Mythen feinsinnig zu entziffern, wird die Installation als schmerzhaft übercodiert empfinden. Doch selten wurde sinnlicher über den Wunsch nach visueller Stimmigkeit zwischen Ideologie und Lebensgestaltung nachgedacht. In der Obersalzberg-Kulisse wird nachvollziehbar, warum es AfD-Anhänger als authentisch empfinden, wenn Politiker wie Alexander Gauland und Björn Höcke beim Kyffhäusertreffen vom "Graubrot bürgerlicher Vernunft" schwadronieren.

Nicht das Mobiliar ist böse, was kann man von einem samtgepolsterten Holzsessel schon erwarten? Das Grauen nistet in der Gestaltung an sich, in dem Bedürfnis, eine diffus als "Ich" empfundene Identität in silikonglatter Fugenlosigkeit abzudichten. Derzeit heißt es, bis zum Beginn der Renovierungsarbeiten am Haus der Kunst könnte es noch etwas dauern. Es ist zu hoffen, dass alle daran Beteiligten die Zeit finden, die fliederbraune Installation zu besuchen, diese gute germanische Stube.

Innenleben, bis zum 29.3.2020 im Haus der Kunst, München. Der Katalog erscheint im März 2020.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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