Bizarrer Theaterstreit:Im Freilichtmuseum

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Emma Rice, derzeit noch Künstlerische Leiterin des Globe Theatre in London. (Foto: Sarah Lee)

In London wird am Globe-Theater der Vertrag der Künstlerischen Leiterin Emma Rice nicht verlängert. Warum? Unter anderem, weil die Chefin elektrisches Licht gut findet. Das verstößt angeblich gegen den Geist von Shakespeare.

Von Alexander Menden

Dass Emma Rice es nicht ganz leicht haben würde in ihrer neuen Rolle als Künstlerische Leiterin des Londoner Globe Theatre, war bereits klar, bevor sie den Posten im Frühjahr antrat. Als erste Frau in dieser Rolle, die noch dazu noch nie länger in London gearbeitet hatte und die nicht als Shakespeare-Spezialistin bekannt war, blies ihr aus Teilen der Presse von Anfang an eine scharfe Brise entgegen. Dass ihr aber vom eigenen Theatervorstand, der sie selbst geholt hatte, nach nur einer Saison das Vertrauen entzogen werden würde, war nicht abzusehen. Und doch hat Neil Constable, Geschäftsführer des Theaters, nun verkündet, Rices Vertrag werde bereits im April 2018 enden.

Als Grund nannte er die Verwendung von elektrischen Scheinwerfern und modernem Sounddesign in den Inszenierungen, die unter Rices Ägide produziert wurden. Das Globe sei als "radikales Experiment" gegründet worden, um zu erforschen, "wie Shakespeare und seine Zeitgenossen arbeiteten", so Constable. Dies solle "auch weiterhin der zentrale Glaubenssatz unserer Arbeit sein". Das klingt nicht zuletzt deshalb bizarr, weil der Eindruck entsteht, die Entscheidungsträger hätten nicht gewusst, welche Art Theater sie mit ihrer neuen Chefin einkauften. Wie dem auch sei - Emma Rice, deren "Wonder Season" für ihr nichtsubventioniertes Theater durchgehend hervorragende Verkaufszahlen generierte, wird als Geduldete in ihr zweites, letztes Jahr am Globe gehen.

Abstruses Reinheitsgebot

Mit seinem Trachten nach mehr elisabethanischer Authentizität - ein abstruses Reinheitsgebot, dem keine Bühne des 21. Jahrhunderts gerecht werden könnte - hat der Globe-Vorstand offengelegt, was das hübsche Fachwerkgebäude an der Themse nach seinem Willen sein soll: Freilichtmuseum, Touristenattraktion plus Shop, Echokammer der Selbstvergewisserung eines kulturellen Konservatismus, der seit dem britischen EU-Referendum immer stärker den nationalen Diskurs bestimmt. Eine der vielen entsetzten Reaktionen aus der Theaterszene war die des Regisseurs Derek Bond, der befand: "Dass das Globe Emma Rice nicht unterstützt, ist der Brexit des Theaters: regressiv, rückwärtsgewandt und zutiefst bedauerlich."

Es dürfte schwer sein, nach diesem Vorgang einen Nachfolger von Format für Emma Rice zu finden. Vom lebendigen Theater, für das Shakespeare selbst wie kein Zweiter steht, könnte das Globe sich kaum weiter entfernen.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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