Bild von Polizeiopfer übertüncht:Bildersturm der Entrüstung

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Im Juli wurde der brasilianische Elektriker Jean Charles de Menezes in London von Polizisten erschossen, weil man ihn irrtümlich für einen Terroristen hielt. Nun darf das Opfer dort nicht auf einem Wandgemälde geehrt werden. Begründung: "Graffiti-Entweihung" der Mauer.

ALEXANDER MENDEN

Am 22. Juli dieses Jahres gelangte Stockwell, Stadtteil des Bezirks Lambeth im Londoner Südosten, zu zweifelhafter Berühmtheit, als in der dortigen U-Bahnstation der brasilianische Elektriker Jean Charles de Menezes von Polizisten erschossen wurde. Man hielt ihn für einen Terroristen - fälschlicherweise, wie sich kurz darauf herausstellte. Stockwell kann also jeden Versuch der Versöhnung brauchen, sollte man meinen. Doch nun überschattet der Vorfall die Gestaltung eines Wandgemäldes, das sich nur rund 400 Meter von der U-Bahn-Station entfernt befindet.

Der Stockwell Memorial Garden bringt ein bisschen Farbe in die Umgebung. (Foto: Foto:)

Stockwell hat wenig aufzuweisen, was das Herz von Kunst- oder Architekturfreunden höher schlagen ließe. Besonders in der unmittelbaren Umgebung der Stockwell Tube Station bietet sich dem Besucher das eher trostlose Bild einer Mischung aus sozialem Wohnungsbau und lieblos gestalteten öffentlichen Plätzen. Einzig das Wandgemälde im Stockwell Memorial Garden bringt ein bisschen Farbe in die Umgebung. Die naiven Malereien auf einem doppelstöckigen Backstein-Rundbau sollen an Menschen aus Stockwell erinnern, die in kriegerischen Konflikten umkamen und zugleich berühmte Menschen aus der Gegend ehren.

Das Konterfei von Jean Charles de Menezes hat allerdings nach Einschätzung lokaler Behörden nichts auf dieser Gedenkmauer verloren. Am Eingang der Station dürfen zwar noch immer Blumen abgelegt und Gedenkkerzen aufgestellt werden, eine Ergänzung der Wandmalerei, die de Menezes vor einer brasilianischen Flagge zeigte, wurde jedoch jüngst von Unbekannten kurzerhand blau übertüncht. Schon vorher hatte es Proteste seitens der Veteranenvereinigung "British Legion" gegeben, da es sich bei de Menezes nicht um einen Kriegsgefallenen handele. Bei der Kommunalverwaltung gingen Anwohner-E-Mails mit der Forderung ein, etwas gegen die "Graffiti-Entweihung" des Denkmals zu unternehmen und alles zu unterbinden, was "weitere ungünstige Publicity für Lambeth" bedeuten könnte.

Verblüffend an der Bewertung des De-Menezes-Porträts als "Graffiti-Entweihung" ist die Tatsache, dass es aus derselben Hand stammte wie das gesamte übrige Wandgemälde. Der Maler Brian Barnes wurde sogar von der Queen für sein Engagement für die kommunale Kunstförderung mit dem Orden "Member of the British Empire" ausgezeichnet. Barnes war von der Initiative "Stockwell Partnership", die das Wandgemälde ursprünglich angeregt hatte, offiziell mit der Ergänzung beauftragt worden. Der Künstler zeigt sich denn auch äußerst überrascht: "Seit 32 Jahren male ich in ganz London solche Wandgemälde. Ich bin kein Vandale. Hier wurde ein unschuldiger Mann erschossen und ich dachte, es sei gut, seiner zu gedenken."

Das Lambeth Council ist anderer Ansicht. Nachdem Barnes die blaue Übermalung beseitigt hatte, ließ die Kommunalbehörde das De-Menezes-Konterfei von einer Reinigungsfirma rückstandslos entfernen.

© SZ v. 30.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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